Fahrsituationen
Das Fahren als »Handling« von Kräften setzt sich zusammen aus
Dem entgegen wirken äußere Widerstände:
 
Die normale Fahrsituation
Eine normale Fahrsituation bedeutet, Längs- und Seitenkräfte in weiten Bereichen moderieren zu können. Dieser Spielraum ist jedoch grundlegend begrenzt:
 Ein *
Reifen kann nur begrenzt Kraft auf den Untergrund übertragen; diese Grenze ist durch den 
Kraftschlussbeiwert (auch: Reibbeiwert) bestimmt.
Dieser hängt ab von den Reifen, dem Untergrund (Asphalt, Beton, Lehm, Sand) und dem Zustand des Untergrundes (trocken, nass, vereist, staubig).
Optimaler Kraftschluss ist bei etwa 10% 
Schlupf erreicht.
 
 
 Die Motorleistung kann nur begrenzt in Geschwindigkeit umgesetzt werden;
diese Grenze ist auf ebener Fläche durch den Luftwiderstand bestimmt; 
bei Höchstgeschwindigkeit ist keine überschüssige Leistung mehr verfügbar.
Das Optimum an überschüssiger Leistung ist etwa zwischen 50 und 80 km/h verfügbar.
 
 Jeder Gang kann nur begrenzt Zugkraft übersetzen; 
das Optimum ist jeweils bei mittlerer Drehzahl erreicht;
 die höchste Zugkraft wird im ersten Gang erreicht.
 
Wird diese maximal verfügbare Kraft von 100 Prozent vollständig zur Vorausfahrt genutzt, kann das Fahrzeug nicht mehr gelenkt werden. Jede Störung wird dann unkontrollierbar. Eine normale Fahrsituation ist also dadurch gekennzeichnet, dass x Prozent der maximal verfügbaren Kraft für die Lenkkraft verfügbar sind.
 
Störfaktoren
Die Fahrsituation wird jedoch kritisch, wenn
 der Kraftschlussbeiwert drastisch abfällt, also entsprechend weniger Zugkraft verfügbar ist;
 
 unvermittelt größere Seitenkräfte fürs Lenken und zum Spurführen erforderlich werden;
 
 100% der verfügbaren Kraft für eine Vollbremsung erforderlich sind.
 
Äußere Einflüsse, die dazu führen können, sind:
 Druckabfall im Reifen
 
 Fallwindböen in Tälern oder an Küsten
 
 Fahrbahnrichtung ändert sich abrupt (Kurven)
 
 Ladung verschiebt sich
 
 Reifen flattern (Unwucht), Karkasse löst sich
 
 Seitenwind oder Eis auf Brücken
 
 Spurrillen in anderer Spurbreite
 
 Tiere auf der Fahrbahn
 
 Überholen nahe der Höchstgeschwindigkeit
 
 Untergrund wechselt (Asphalt, Beton, Metall, Schotter)
 
 Untergrund ändert sich (trocken, feucht, nass)
 
 Verkehrsteilnehmer verhalten sich unvorhergesehen
 
 überflutete Unterführung
 
Reaktive Einflüsse durch den Fahrer sind:
 Übersteuern
also zu starkes Einlenken > Kurvenradius zu klein > Heck droht auszubrechen > Fahrzeug dreht sich
Laut Walter Röhrl haben gute Fahrer »die Fliegenreste auf den Seitenscheiben«.
 
 Untersteuern (engl. 
Jargon plow)
also zu geringes Einlenken > Kurvenradius zu groß > Fahrzeug schiebt über die eingeschlagenen Vorderräder zum Kurvenrand > Fahrzeug fliegt aus der Kurve
 
 
 Im mittleren Bereich dazwischen hat das Fahrzeug eine Tendenz zum Driften und wird wesentlich durch das Gaspedal gesteuert.
 
 Vollbremsung
also 100% Bremskraft > Lenken nicht möglich > Bremsweg bis Stillstand oder
unkontrolliertes Ausbrechen, etwa weil unvorhergesehene Seitenkräfte wirken
 
 
Kritische Fahrsituationen
Daraus resultieren kritische Fahrsituationen im Grenzbereich, nämlich:
 Kraftübertragung sinkt (z.B. Bremswegverlängerung): Haftreibung sinkt, etwa bei Nässe
 
 Gleiten: keine Haftreibung mehr, nur noch Gleitreibung, etwa auf Eis
 
 Aquaplaning: weder Haftreibung noch Gleitreibung, nur noch Flüssigkeitsreibung
 
 
 Driften: Das Fahrzeug bewegt sich quer zur Fahrspur
 
 
 Dreher: In Kurven, etwa auf nassem Laub, verlieren die angetriebenen Hinterräder die Haftreibung
 
- 
 
Wird gebremst, während seitliche Kräfte wirken, sind drei Fälle möglich:
	
	
		| Räder blockieren | Fahrzeugdynamik | Lenkung | Folge | 
	
	
	
		| Hinterachse  | instabil | lenkbar | Drehen | 
	
	
		| Vorderachse | stabil | nicht lenkbar | Untersteuern | 
	
	
		| Hinter- und Vorderachse  | indifferent | nicht lenkbar | Driften | 
	
 
 
Maßnahmen
Bewegt sich das Fahrzeug erst einmal unkontrolliert, so kann es sich aufschaukeln, ausbrechen, schleudern, kippen, sich überschlagen, aufprallen. Solche Situationen können beherrschbar sein durch richtige Reaktionen, die aber Erfahrung voraussetzen:
 Bei Verlust der Bodenhaftung (etwa bei Aquaplaning) verbietet sich Bremsen, die Lenkung muss geradeaus zeigen, Auskuppeln ist angesagt.
 
 Solange Bodenhaftung besteht, ist Auskuppeln insbesondere bei Gefälle gefährlich, da die Haftreibung auf Roll- oder Gleitreibung reduziert wird.
 
 Bei zu langem Bremsweg rechtzeitig die Bremse lösen und um das Hindernis herum lenken.
 
 Bei seitlich ausbrechendem Heck schnell in die gleiche Richtung lenken.
 
 Auf Schnee und Eis bei gerader Straße normal bremsen.
 
 In vereisten Kurven das Lenkrad vorsichtig bei getretener Kupplung einschlagen.
 
 Schlingert das Fahrzeug (etwa in Spurrillen), ist Gas geben sicherer als Bremsen.
 
 
Bei Gefällestrecken
Das Bremssystem ist auf die Fahrzeugmasse abgestimmt. Vollbeladen und überladen kann das Bremssystem so heiß werden, dass es durch Fading oder Dampfblasenbildung versagt. Situative Maßnahmen sind:
 vorausschauend und frühzeitig herunterschalten, notfalls bis in den untersten Gang;
 
 bei Bremsversagen pumpend bremsen und das Pedal durchgedrückt halten, weil sich beim Nachlassen wieder Dampfblasen bilden;
 
 zusätzlich die Handbremse einsetzen;
 
 auf einen Seitenweg mit geringerem Gefälle abbiegen;
 
 Blechbremse, also mit der Karosserie an den Leitplanken oder (Fels-, Mauer-)wänden schleifend bremsen, wenn ein Aufprall oder Absturz sonst nicht vermeidbar wäre.
 
 
Besonderheiten bei Fernreisemobilen
Die geschilderten Grenzbereiche lassen sich im normalen Straßenbetrieb weitgehend durch angepasstes Fahrverhalten vermeiden und gehören dann eher zum Gesprächsstoff von Rallyepiloten.
Unterwegs mit dem Fernreisemobil treten solche kritischen Situationen jedoch vermehrt auf, auch bei geringen Geschwindigkeiten. Sie werden begünstigt durch:
 ein besonders seitenwindempfindliches Fahrzeug (Transporter, Kofferaufbau)
 
 zulässige Beladung im Grenzbereich, also auch Bremskräfte im Grenzbereich
 
 Fading, also überhitzte Bremsen auf langen Gefällestrecken
 
 
- 
 
 Ladung, die sich verschieben kann und Tanks ohne Schwallwände
 
 Untergrund mit erheblichen Spurrillen (verformte Asphaltstraßen in tropischen Ländern)
 
 Untergrund mit gewölbter Decke (makadamisierte Straßen)
 
- 
 
 Durchfahren von strömendem Wasser
 
 Fahrspuren in Lkw-Breite
 
 erhebliche Fahrbahnänderungen ohne Vorwarnung (Baustellen, Brückenumfahrung, potholes)
 
 ungewohntes Fahrverhalten anderer Verkehrsteilnehmer
 
 
Die Fahrdynamik vorbereitend gestalten
Die Fahrdynamik in solchen Fahrsituationen wird beeinflusst durch
 
Fahren im Gelände
Widerstände im Gelände
Die Fahrdynamik auf guten Straßen wird wesentlich vom Luftwiderstand bei höheren Geschwindigkeiten bestimmt. Beim langsamen Fahren im Gelände spielt das keine Rolle, hier gelten andere Regeln. Die wesentlichen Widerstände im Gelände sind:
 Bulldozing, also der Erdkeil vor dem Reifen, der meist durch Bodenverdichtung entsteht
 
 Spurrillenreibung, also die seitliche Reibung der Reifen in der 
Spur. Diese steigt mit dem Bodendruck des Fahrzeugs und der Geschwindigkeit; sie sinkt mit abnehmendem Reifendruck
 
 
 Wasserwiderstand bei Wasserdurchfahrten. Dieser steigt mit der Geschwindigkeit und sinkt mit der Widerstandsfläche, also bei schmalen, harten Reifen.
 
 
Lehm (»Mudding, mud bogging, mud slinging«)
Charakterisiert durch
Besondere Gefahren
 Übergang von Traktion zu Gleitreibung, also Kontrollverlust
 
 Anfahren schwierig wegen geringem Kraftschluss
 
 Einsinken im Moder und Aufsitzen
 
 Versinken in bodenlosem Morast
 
 
Maßnahmen
Sand (»Dune bashing«)
Charakterisiert durch
 Korngröße: von Feinstaub bis splittartig
 
 Kornform: rundgewaschener Flusssand bis scharfkantiger Brechsand durch Erosion
 
 Wassergehalt: feuchter Sand ist tragfähiger als trockener; nasser Sand kann trügerisch sein; an Ufern fährt man knapp oberhalb der Hochwasserlinie am sichersten
 
 Temperatur: heißer Sand ist weniger tragfähig, also fährt man möglichst früh morgens und in Schattenzonen
 
 
Besondere Gefahren
 Aufsitzen an der Hügelkuppe
 
 Überschlag bei nicht direkter 
Fahrt zur Hügelkuppe (engl. 
off camber oder sidehill)
 
 
 Überschlag in Kurven bei überhöhter Geschwindigkeit
 
 Einsinken bei zu geringer Geschwindigkeit
 
 Hindernisse im Staub
 
 Löcher unter Feinstaubschichten
 
 
Maßnahmen
 möglichst schnell fahren
 
 stehenbleiben nur vor Gefälleabschnitten oder auf tragfähigem Untergrund
 
 Fahrrinnen nutzen
 
 abgesenkter Reifendruck (höchstens 1,5 bar)
 
 
Naturwege (»green laning«)
Charakterisiert durch
Besondere Gefahren
Maßnahmen
Felspfade (»rock crawling«)
Charakterisiert durch
 Materialgröße von Kiesel bis Felsplatte
 
 steiniger Untergrund mit Felsstufen
 
 Oberfläche von grob gebrochen über glatt gewaschen bis rund rollend
 
 Landschaftsform von Geröllwüste über Bachbett bis Felshang
 
 
Besondere Gefahren
 fehlende Fahrspur
 
 beweglicher Untergrund durch lose Steinbrocken
 
 Verlust des Bodenkontakts für 1-2 Räder (Kippen)
 
 Reifenschäden, insbesondere an den Flanken
 
 
Maßnahmen
Wasserdurchfahrten
Charakterisiert durch
 Zufahrt und Ausfahrt auf der gegenüberliegenden Seite
 
 strömendes oder stehendes Gewässer
 
 Breite
 
 Tiefe (Furt)
 
 Untergrund: schlammig, sandig, steinig, befestigt
 
 Klares oder trübes Wasser, also Untergrund sichtbar oder nicht
 
 
Besondere Gefahren
Maßnahmen
 Zweiter untersetzter Gang (Low 2, L2)
 
 Erhöhte Luftansaugung
 
 Immer Gas geben
 
 Unter Berücksichtigung der Strömung die Ausfahrt gegenüber anpeilen
 
 
Maximen für Geländefahrten
Man kann (theoretisch) von Kairo bis Kapstadt auf Asphaltstraßen fahren. Regenzeit und Erdrutsche, Baustellen und Umleitungen erzwingen jedoch selbst dort immer wieder das Verlassen von Hauptverkehrsstraßen; unvorhersehbar werden lange Pisten- und Geländefahrten unausweichlich; Unfälle und Umfälle mahnen wieder und wieder am Straßenrand. Auf der Straße zu bleiben, erfordert dann unablässig ein kontrolliertes Beherrschen des Fahrzeugs.
 
Voraussetzung 1: Das Fahrzeug beherrschen
Das setzt voraus, dass man sein Fahrzeug genau kennt, also ein Gefühl für die Fahrzeugmaße hat; den Wendekreis einschätzen kann; ein Gefühl für die Bodenfreiheit und die Winkel etwa bei Böschungsfahrten beurteilen kann; genau weiß, wo sich die Reifen befinden oder die Differentiale; sich exakt die Spurbreite im vorausliegenden Gelände vorstellen kann usw.
 
Voraussetzung 2: Pick a good line
Wer an eine gute Fahrbahn gewohnt ist richtet sein Augenmerk auf Störungen der Fahrbahn, etwa einen Gegenstand oder ein Loch, verzögert und umfährt diese Störung.
Im Gelände hilft es, seinen Blick zu ändern, denn dort überwiegen die Störungen. Also muss der Blick die Fahrspuren fokussieren und dort wo keine sind, so im Gelände imaginieren, dass die Problemstellen möglichst unberührt bleiben. Wichtig ist die Fahrspur, nicht das Problem. Wer auf das Problem schaut, trifft es auch.
 
Regel 1: Langsam fahren
Insbesondere auf Pisten und im Gelände wird oft unvermittelt eine maximale Zugkraft des Fahrzeugs benötigt. Diese ist aber weder im vierten oder fünften Gang noch bei Geschwindigkeiten über 80 km/h verfügbar, also lautet die wichtigste Grundregel: Langsam fahren.
 
Regel 2: Den richtigen Gang einlegen
Die meisten Problemstellen werden mit Zugkraft überwunden, nicht mit Geschwindigkeit. Damit ununterbrochen Kraft auf den Untergrund übertragen wird, darf der Gang nicht gewechselt werden. Die höchstmögliche Zugkraft liefert der kleinstmögliche Gang. 
 
Regel 3: Vollgas geradeaus
Die maximale Zugkraft erhält man weder mit rutschender Kupplung noch bei hektischem Lenken. Wer langsam fährt, kann auch stehenbleiben und vor kritischen Passagen nachdenken, wie diese anzugehen sind. Dann im geeigneten Gang (ohne Zugkraft duerch Schalten zu verlieren) in gerader Linie (mit minimalen Lenkkraftverlust) mit Vollgas durch, also kraftvoll jedoch nicht schnell.
 
Regel 4: Don't touch the clutch
Wer zu schnell ist, hat den falschen Gang gewählt. Kontrolle über das Fahrzeug hat nur, wer die Motorleistung über den Reifen ständig auf den Untergrund bringt. Das Treten der Kupplung hat (je nach Untergrund) mehrere negative Folgen:
 Erstens unterbricht man so die Kraftübertragung, mindert also Eingreifmöglichkeiten.
 
 Zweitens wechselt die Bodenhaftung zur Rollreibung und diese ist geringer als Haftreibung 
 
 drittens wechselt die Bodenhaftung beim Einkuppeln im schlechtesten Fall zur Gleitreibung und diese ist imemr geringer als die Rollreibung.
 
 Viertens beschleunigt das Fahrzeug auf Gefällestrecken, weil die *
Motorbremse entfällt.
 
 
Daher: »The clutch is your enemy.« Es wird erst ausgekuppelt, wenn der Wagen feststeckt oder aus der Problemzone raus ist.
 
Regel 5: Let the car do the work
Motorradfahrer kennen den Effekt: Das Vorderrad sucht seinen Weg. Das gilt auch für die Vorderachse im Gelände, erfordert jedoch Gefühl und *Vertrauen: die Reifen winden sich durch Geröllstrecken und erst recht werden sie in tiefen Sandspuren geführt. Stures, starres Lenken dagegen überanstrengt Fahrer und Material. Zudem geht jede seitliche Lenkkraft der Zugkraft verloren.
Voranfahrt gibt es nur mit dem Gaspedal. Gefühlvolles Lenken ist sinnvoll, Bremsen ist fast nie sinnvoll, Kuppeln ist fast immer schädlich.
siehe auch:
* Elchtest
Kammscher Kreis
Auffahrunfall
Crashtest
* Geländefahrzeug
* Die gefährlichsten Straßen der Welt
* Terramechanics
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