Globetrotter kennen das »schiefe« und verzerrte Bild der Welt, wie es oft in den Medien erzeugt wird: real life und virtual reality waren immer schon zwei Paar Wanderstiefel. Wer erfolgreich sein will, füttert Furcht und Schrecken aufmerksamkeitsheischend mit Krimi, Krach, Krisen und bedient die bestehenden Vorstellungen und Glaubenseinstellungen.
»Sagen was ist«
Leitspruch des Spiegel-Gründers Rudolf Augstein
Susanne Gaschke
erkennt in der Neuen Zürcher Zeitung vom 12.09.19 ein »Blitzlichtgewitter medialer Dauerentrüstung«; Meinungen sind wichtiger als Fakten und Argumente, denn »Die Dramatisierungsreserven sind unendlich«, wenn »die sechs Gebote des moralischen Journalismus« befolgt werden, als da wären:
Empörung
Dramatisierung
Heimatschmähung
Jugendopportunismus
Bevormundung
Tabus
»Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache,
auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken,
im Umgang mit Katastrophen cool bleiben, ohne kalt zu sein.
Nur so schaffst du es, daß die Zuschauer dir vertrauen ...«
Hanns Joachim Friedrichs
im Spiegel-Interview 1)
Dass Nachrichten dem Effekt untergeordnet werden, erkennt man an der oft scheinriesigen Wortwahl:
Sorgen: Dass sich jemand Sorgen macht, ist menschlich. Das hat jedoch weniger mit der objektiven Wirklichkeit zu tun als mit der psychischen Verfassung des sich Sorgenden: Pessimisten leiden tags und haben nachts Alpträume. Anlässe finden sich überall:
Bedenken: Betroffene befürchten … (Experten) warnen/geben zu bedenken … dies ebbt zwar ab, das jedoch nimmt zu … will verweigern … nicht alles auf eine Karte … lassen sich auf sich warten … zeigt ein ambivalentes Bild … unzureichende Ergebnisse … häufen sich Vorfälle … rächt sich jetzt … erste Schritte wagen,
wenn … dann … droht: könnte möglich sein Verlust … Niederlage … verstößt gegen … Schuld belastet … unwiederbringlicher Verlust … Verfehlungen ziehen Konsequenzen nach sich … Untergang
nicht mehr sicher: Vorsicht … Gewalt … eskaliert … erbitterter Kampf
Immer mehr: nicht das einzige Problem … Schlagzeilen: Der »Immermehrismus« wird von Journalisten gerne verwendet, wenn es keine Zahlen gibt und wenn der Maßstab fehlt, dann wird entlarvt, aufgedeckt, manipuliert, vor der raschen Ausbreitung oer vor einem Minenfeld gewarnt.
Auseinandersetzung: Aufregung … fühlt sich verletzt … bedroht … hysterisch … immer lauter … Skandal … aggressiver Ton … Hass
Vorwürfe: Geil! Neugierig recken sich die Hälse, weil sich ein Streit anbahnt, mit dem man man nichts zu tun. »Vorwürfe« unterstellen »Anklagen« und »Schuld«, müssen aber im Unterschied dazu nicht bewiesen werden. Vorwerfen darf jeder, man ist »ehrlich empört« und entrüstet, weil NN versagt hat und äußert Kritik an XY, weil fahrlässig versäumt wurde.
die Alarmglocken dröhnen: Schwarze Angstwolken ziehen auf, mal mehr, mal weniger dunkel: Bürgerkrieg … Hunger … Dürre … Epizentrum … Hitze … Kälte … Armut … Grippe … Gift in der Nahrung … Medikamente knapp … Ärzte fehlen … Der Euro ist weniger wert … Der Dollar ist weniger wert … zu viele Studenten … zu wenige Fachleute
Wettlauf mit der Zeit: Eigentlich ist alles schon zu spät und besiegelt, aber nun gilt es sofort zu handeln. Aktionismus wird wichtiger als Beobachten und Überlegen, denn es sind … schwere Zeiten
Katastrophen bahnen sich an, denn der Zustand »eskaliert« und ist so schlimm »wie nie« oder »xx Jahren nicht mehr« oder »seit Beginn der Aufzeichnungen« und die (aufkeimende) Hoffnung schwindet schon wieder, weil der Druck steigt.
A-Z der Apokalypse: Artensterben, Bankenkollaps, Betrug, Clash of Civilizations, Debakel, Deflation, Erdbeben und Exzesse, Finanzkrise, Gammelfleisch und Grippe-Pandemie, Hochwasser, Hunger, Inflation, Klimakollaps und Korruption, Lebensmittelvergiftung, Migrationskrise, nukleare Störfälle, Ölkrise, Orkan, Ozonloch, Pandemie, Pflege-Notstand, Redeverbot und Rezession, Rinderwahn & BSE, Rüstungswettlauf, Saurer Regen & Starkregen, Terrorismus, Überflutung, Vogelgrippe, Vulkanausbruch, Waldsterben, Wirtschaftskrise
Das Problem ist offensichtlich und so relevant, dass sich Wissenschaftler vom Harding-Zentrum für Risikokompetenz mit der Frage befasst haben: Wie können Menschen auf einfachem Weg erkennen, ob alltägliche Risiken und Chancen objektiv dargestellt werden? Ergebnis ist ein Risikoatlas mit einfachen Ja-Nein-Entscheidungen. So können etwa Texte, die starke Übertreibungen (super!) mit absoluten Bewertungen (immer, nie) kombinieren als fiktiv eingestuft werden.