Reparatur
Fernmobilreisende reparieren sich in aller Regel um die Welt, denn intakte Technik und endgültige Reparaturen sind Utopien. Ganz unterschiedliche Motive führen dazu, ein »Ding« reparieren zu wollen, etwa:
Bequemlichkeit:
weil der Aufwand einen Ersatz zu finden, zu hoch erscheint
Bewahren-Wollen:
also dem Ding einen ideellen Wert bis hin zur Einzigartigkeit zumessend (Andenken)
Gewohnheit:
weil Mensch und Ding durch den Gebrauch in besonderer Weise harmonieren (Haptik, Optik, Geruch …)
Handwerkliches Können:
weil man gerne macht, was man gut kann (
Know-How)
Notwendigkeit:
weil akuter Handlungsbedarf besteht, der Gebrauchswert also unverzichtbar und keine Alternative verfügbar ist (»
Bricolage«)
Sparsamkeit:
also Kosten vermeidend und die eigene Arbeitszeit nicht berechnend (Humankapital)
Technische Kreativität:
weil sich das (er)finden einer Lösung gut anfühlt (Flow)
Umweltbewußtsein:
also Werterhalt durch Nutzungsverlängerung (Ressourcenschonung)
Der sich so manifestierende Wille zur Reparatur kann auf verschiedenen Wegen umgesetzt werden:
Das
Warten im Sinne der Pflege,
Wartung und
Instandhaltung als Sichern der Funktionen eines Dinges zwischen den Reparaturen sowie das Verlängern der Nutzungsdauer. Die Grenzen hin zur Optimierung verschwimmen, wenn es darum geht die Funktionen eines Dinges an die Bedürfnisse der Nutzer anzupassen. Das kann bedeuten Funktionen einzuschränken, abzuschalten oder zu erweitern, etwa durch Deaktivieren oder Abbauen von störenden Bestandteilen.
Das
Erklären der Handhabung, denn viele
Fehler lassen sich beheben, indem die Bedienungsanleitung gelesen, verstanden und befolgt wird (siehe *
Murphys Gesetz). Die Hauptursachen von
Autopannen sind ein leerer Tank und eine entladene Batterie. Dort, wo ein Laie eine Reparatur für nötig hält, ist also oft nur ein systematisches Nachdenken oder ein anderer Umgang mit der Technik nötig.
Das Austauschen von Ersatzteilen oder Modulen erfordert lediglich eine saubere Fehleranalyse, die durchaus schematisch erfolgen kann, also weniger Expertenwissen erfordert. Allerdings erfordert es standardisierte Ersatzteile und verschiebt die Idee des Reparierens, denn: Wer repariert das ausgetauschte Teil?
Das
Flicken erfordert eine detaillierte Funktionsanalyse und sucht die Wurzel des Defektes. Dies erfordert einerseits handwerkliches Talent und Werkzeuge, andererseits minimiert es die Anforderungen an Hilfsmittel, etwa durch Löten einer kalten Lötstelle. Das sorgfältige Flicken erfordert einen
Tüftler und kostet
Zeit, sonst wird es
Murks.
Frickeln und Friemeln im Sinne von
buschmechanischem Handeln löst ein Problem nicht unmittelbar, sondern findet eine funktionsfähige Lösung drumherum, daher neudeutsch
workaround. Unter zeitlichem Druck muss ein akutes Problem mit dem gelöst werden, was zuhanden ist.
Das Ergebnis sind kreative trickreiche Zwischenlösungen und Provisorien, die manchmal lange halten, also keine »Patentlösung« sondern ein »quick-fix«.
Erst am Ende allen Reparierens steht das Recycling, also das Zerlegen, Sortieren und stoffliche Wiederverwenden von Bestandteilen.
Der Kreis schließt sich, wenn die Erfahrungen beim Reparieren einfließen in die Konstruktion und dort sowohl Innovationen auslösen und auch eine reparaturfreundliche Konstruktion fördern. Beides scheint allerdings mehr Hoffnung als Wirklichkeit zu sein, denn nicht zu öffnende Gehäuse sollen ja sowohl Einsicht als auch Zugriff verhindern.
Die Grundgesetze der Reparatur
Es gibt keine vorbeugende Reparatur: »If it ain't broke, don't fix it!«.
Es gibt keine endgültige Reparatur.
Jede Reparatur zieht neue Schäden nach sich.
Wenn man weiß wie etwas funktioniert, dann kann man es auch reparieren.
Zwar ist der Wunsch nach einer »vorbeugenden Reparatur« verständlich, jedoch nicht umsetzbar. Aufträge auf der Basis von Befürchtungen helfen der Werkstatt, nicht dem Fahrzeug. Zum einen ist ein neues Ersatzteil nicht unbedingt besser als ein funktionierendes Altteil. Zum anderen sind bei jedem Eingriff Kollateralschäden fast unvermeidbar. Schließlich unterliegt auch Technik der Thermodynamik irreversibler Prozesse, ist also letztlich instabil und dissipitiv. Letzteres bedeutet beispielsweise, dass sich die Schrauben in der Umgebung verlieren.
Selbermachen
Pannen lassen sich manchmal durch Nachdenken und eine Fehleranalyse selber beheben. In unseren Breiten ist Hilfe meist nicht weit und mit dem Handy leicht zu organisieren. Das ist ärgerlich, aber nicht bedrohlich. In einsamen Gegenden sieht das anders aus: ein bushcamp kann erforderlich sein, der richtige Umgang mit der Notlage erfordert ein nüchternes Problemlöseverhalten und buschmechanisches Handeln.
Wer gelernt hat, Dinge selber zu reparieren (*DIY), ist im Vorteil. Dies erfordert einerseits eine Wertschätzung der Dinge, andererseits eine positive Einstellung durch eigene Arbeit Werte zu erhalten. In Schlagworten ausgedrückt: Nachhaltigkeit statt Wegwerfmentalität. Das Reparieren zu kultivieren ermöglicht mehr Selbständigkeit und Autarkie in selbst geschaffenen Kreisläufen und mindert die Abhängigkeit von externer Versorgung (»Subsistenz«).
Reparieren als Einstellung
Reparieren ist dem Erschaffen von etwas Neuem nahe verwandt. Wer etwas repariert, muss die dem Ding innewohnende Idee des Erfinders nacherfinden und einen neuen, kreativen Weg finden sie wiederaufleben zu lasssen. Die Freude, etwas Altes kreativ zu neuem Leben zu erwecken, ist die eigentliche Quelle des Reparierens und unterscheidet es vom Flicken als dem behelfsmäßigen Wiederherstellen einer Funktion.
Dieser Einstellung entgegengesetzt ist die Entwertung als Abfall, das gedankenlose Wegwerfen. Der unentwegte Konsum von Neuem treibt den Wirtschaftskreislauf an, reduziert den Wert der Dinge aber auf deren Gebrauchswert. Etwas Altes zu erhalten wird aus dieser Sicht oft als »Sparen aus Geiz« abgewertet. Alte Dinge können jedoch durch den Gebrauch bei abnehmendem Gebrauchswert auch an Wert gewinnen. Viele Menschen nehmen das bei ihren Lieblings-Kleidungsstücken wahr: einer Jacke, einem T-Shirt oder einem Paar Schuhe.
Voraussetzungen zur Reparatur
Einen möglichst geraden Weg vom Problem zur Lösung zu finden, setzt eine Analyse voraus. Wie ein Arzt muss der systematisch vorgehende Techniker eine Art Differentialdiagnose vornehmen, also schrittweise klären:
Welche Symptome gibt es?
In welchem zeitlichen Zusammenhang stehen die Symptome?
Wie reagieren die Symptome auf äußere Einflüsse?
Was sind Ursachen, was sind Folgen?
Die Tiefe einer solchen Diagnose steht im direkten Zusammenhang mit dem technischen Vorwissen. Je geringer Wissen und Erfahrung sind, desto bedeutsamer werden Hilfestellungen. Für die Automobiltechnik gab es in den vergangenen hundert Jahren dazu zwei Ansätze:
Listen möglicher Störungen, die tabellarisch oder baumartig zu möglichen Ursachen führen
Beschreibungen aller Aggregate, die systematisch deren Störungen und Reparaturmöglichkeiten aufführen
Erfahrene Kfz-Mechaniker kennen darüber hinaus auch die Geräuschdiagnose (Sonifikation, sonic skills) 1); ein Hilfsbuch unterscheidet 70 hörbare Fehlermöglichkeiten 2).
Reparaturpolitik
Die Möglichkeit, ein Ding zu reparieren, wird häufig eingeschränkt, in einfachster Form verhindern etwa Sicherheitsschrauben oder Nieten das Öffnen eines Gehäuses. Begründet wird dies mit Qualitätssicherung, Sicherheit, Umweltschutz sowie Gesetzgebung. Umgekehrt wird argumentiert, dass der Kauf eines Dinges auch beinhalten muss, dieses Ding zu reparieren, siehe Right to repair.
siehe auch
Buschmechanik
Bricolage
Tinkering & Thinkering
Literatur
Heckl, Wolfgang
Die Kultur der Reparatur
München 2013
Klara Löffler
Reparieren und Instandhalten, Basteln und Entdecken.
Eine ethnographische Annäherung.
In: Technikgeschichte 79 (2012), H. 3, S. 273-289.
Erik Poppe
Reparaturpolitik in Deutschland. Zwischen Produktverschleiß und Ersatzteilnot
Im Auftrag von: Vangerow GmbH
SUSTAINUM - Institut für zukunftsfähiges Wirtschaften Berlin 2014
pdf-Download
Vänçi Stirnemann, Manfred
, Fritz Franz Vogel
Flick gut! Panne, Blätz, Prothese: Kulturgeschichtliches zur Instandstellung.
[192] S. überw. Ill. 33 cm Heftpflaster und 3 Beil. (11, 7, 35 S. : Ill.) Marburg 2004: Jonas.
Ausstellung im Gewerbemuseum Winterthur 2004; in der Bücherei Tempelhof Berlin 2005 und in Memmingen 2006.