====== Universalismus oder Relativismus? ====== »Im Auslegen seid frisch und munter! Legt ihr's nicht aus, so legt was unter." Johann Wolfgang Goethe, Xenien, FA I.2, 636 Welche Wertvorstellungen gelten universell? Dies ist eine aktuell brennende Frage, etwa wenn [[wiki:staaten|Staaten]] die Regierungsform der Demokratie in Russland, Ungarn, den USA oder Großbritannien sehr unterschiedlich auslegen oder gar grundsätzlich ablehnen (China). Der Ethnologe ''Clifford Geertz'' vertritt einen radikalen Relativismus ((''Clifford Geertz''\\ //[[wiki:welt|Welt]] in Stücken. Kultur und Politik am Ende des [[wiki:reisegenerationen#20. Jahrhundert|20. Jahrhunderts]]//\\ Übersetzt von Herwig Engelmann, Passagen, Wien, 2. Aufl. 2007, ISBN 978-3-85165-785-2)). Natur und [[wiki:wissen|Wissen]] entstünden lokal und müssten sich lokal bewähren. Zweifelsohne erwüchse daraus überall »Kultur«, doch sei diese »fluid«, ein sich ständig veränderndes Gewebe. Daher könne es auch keinen Universalismus geben wie etwa »die« Menschenrechte oder »die« Demokratie. In Deutschland beschäftigt sich der Ethnologe ''Christoph Antweiler'' ((//Was ist den Menschen gemeinsam? Über Kultur und Kulturen//\\ Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2007 2., erweiterte und überarbeitete A. 2009\\ //Heimat Mensch. Was uns alle verbindet.//\\ Murmann Verlag, Hamburg 2009\\ //Mensch und Weltkultur. Für einen realistischen [[wiki:kosmopolit|Kosmopolitismus]] im Zeitalter der [[wiki:globalisierung|Globalisierung]]//\\ Transcript, Bielefeld 2011, ISBN 978-3-8376-1634-7)) intensiv mit den Themen: * Gesellschaftliche Naturverhältnisse (politische Ökologie) * Regionale Identität * Lokales [[wiki:wissen|Wissen]] * Universalien als pankulturelle Kulturmuster * [[wiki:kosmopolit|Kosmopolitismus]] * Kulturelle Evolution als langfristiger Kulturwandel ''Joseph Henrich'' führte 2010 die Abkürzung [[wiki:weird|WEIRD]] in die Diskussion ein: * Zunächst zeigte er, dass die Verhaltenswissenschaften in ihren experimentellen Studien meist einen Verfahrensfehler aufweisen, weil einseitig WEIRD-People als Probanden ausgewählt wurden ((''J. Henrich, S. Heine, A. Norenzayan''\\ //The Weirdest People in the World?//\\ Behavioral and Brain Sciences Band 33, 2010, S. 61–135)). * In einer weiteren Studie prüfte er, ob sich unterschiedliche ethnische Gruppen bei Verhaltensexperimenten unterscheiden. Tatsächlich war dies der Fall. Damit aber stehen die Universalismen in Frage ((''J. Henrich, J. Ensminger, R. McElreath, A. Barr, C. Barrett, A. Bolyanatz, J. C. Cardenas, M. Gurven, E. Gwako, N. Henrich, C. Lesorogol, F. Marlowe, D. P. Tracer, J. Ziker''\\ //Market, religion, community size and the evolution of fairness and punishment.//\\ In: Science. Band 327, 2010, S. 1480–1484)). * Eine dritte [[https://science.sciencemag.org/content/366/6466/eaau5141|Studie]] sollte herausfinden, was die WEIRD-People von anderen ethnischen Gruppen unterscheidet. Ein heikles Feld, denn wenn alle Menschen gleich sind, darf es keine Unterschiede geben. ''Henrich'' etal fanden sie dennoch, hier frei übersetzt (Google): //»Neuere Forschungen bestätigen nicht nur die Existenz erheblicher psychologischer Unterschiede auf der ganzen [[wiki:welt|Welt]], sondern unterstreichen auch die Besonderheit vieler westlicher Bevölkerungsgruppen. Wir schlagen vor, dass ein Teil dieser Variation auf das Wirken und die Verbreitung der westlichen Kirche zurückzuführen ist, dem Zweig des Christentums, der sich zur römisch-katholischen Kirche entwickelte. Insbesondere schlagen wir vor, dass die Umgestaltung der europäischen Verwandtschaft durch die westliche Kirche durch die Förderung kleiner Kernhaushalte, schwacher familiärer Bindungen und [[wiki:arbeitsnomaden|Wohnmobilität]] zu mehr [[wiki:einzelne|Individualität]], weniger Konformität und "impersonal prosociality" geführt hat.«// ((''Jonathan F. Schulz, Duman Bahrami-Rad, Jonathan P. Beauchamp, Joseph Henrich''\\ //The Church, intensive kinship, and global psychological variation//\\ Science Ausgabe 6466, Band 707, 8. November 2019)).\\ ''Ulf von Rauchhaupt'' hat das in der FAZ schön beschrieben:\\ [[https://www.faz.net/aktuell/wissen/geist-soziales/westliche-mentalitaet-und-katholische-familienethik-16476750.html|Der Segen der Kirche FAZ 24.11.2019]]. Universalismus in einem Sinne, dass der Mensch die Welt in einem für ihn genehmen Zustand stabilisieren kann, grenzt an Vermessenheit. Eine stabile soziale Ordnung kann es nur in einem stabilen Ökosystem geben. * Unser vertrautes Klima ist im Wandel. * Unsere vertraute demokratische Gesellschaftsform ist weltweit bedroht. * Unser individueller Anspruch auf Selbstbestimmung und Selbstverwirklichkeit sichert weder das Klima noch die demokratische Gesellschaft. * Der kapitalistische Ansatz zielt auf Wachstum, nicht auf Nachhaltigkeit. * Das ökologische System zu stabilisieren, setzt voraus, weniger Ressourcen zu entnehmen, weniger zu produzieren und weniger zu konsumieren und destabilisiert das soziale System. * Sowohl Klimakatastrophen als auch Kriege erhöhen jedoch den Ressourcenbedarf durch Vernichtung von Bestehendem. ---- siehe auch * [[wiki:welt|Welt]] * [[wiki:weltanschauung|Weltanschauung]] * [[wiki:liste_universaler_dinge|Liste der universalen Dinge]] * [[wiki:liste_global_language|global language]] * [[wiki:globales_dorf|globales Dorf]] * [[wiki:globalisierung|Globalisierung]] * [[wiki:universal|Universal]]