Merchant Adventurer

»Der fahrende Händler« ist die langweilige Version des merchant adventurer. Dessen Erfolg war ein Resultat des Glücks und bestand im Profit. Sein Lohn bemaß sich an der Kreditwürdigkeit innerhalb eines kapitalistischen Systems: Frau Fortuna, »Jeder ist seines Glückes Schmied«.

Marco Polo steht für den Individual-Abenteurer an der Wende des 13./14. Jahrhunderts: er notiert Markt- und Handelsplätze, bewertet verläßliche und unzuverlässige Handelspartner und -völker, schätzt die Gewinnchancen von Gütern ab, katalogisiert die regionalen Produkte … Seine Interessen und vielleicht seine Jugend bedingen, daß er die Länder und Völker ohne die ideologische Brille der katholischen Kirche sieht. Seine eigene Erfahrung und Beobachtungen gewichtet er stärker als vorgegebene christliche Interpretations- und Glaubensmuster. Nach 25 Jahren zurückgekehrt, will sie in ihren Lumpen niemand mehr erkennen. Erst als sie große Mengen an Edelsteinen aufhäufen, galt dies als Beweis ihrer Identität, „man bewies ihnen die größte Ehre und Referenz“.

Schon zur Zeit der Ritter findet sich als Nebenbedeutung von Aventure: Ertrag, Einkunft, Beute, Fang … Die „Beute“ ist nicht ohne Glück zu gewinnen, da Aventure mit Risiko verbunden ist. In Chaucers Canterbury Tales stellt sich Frau Fortuna vor: »Bruder, nennt mich Aventure …« und in der Provence entsteht eine Frau Aventure, die Glück bringt. Diese Nebenbedeutung von Aventure gewinnt in dem Maße, als die Hauptbedeutung gesellschaftlich in Verruf gerät. Sie wird insbesondere in Deutschland, England, Italien zum festen Terminus der Handelssprache. Reisende Kaufleute, Fernhändler werden als Abenteurer bezeichnet, ohne daß dies abwertend gemeint wäre, vereinzelt wurde gar die Ware, die hohen Gewinn versprach, als Abenteuer bezeichnet. Der Aventiurehandel bezeichnete ein Absatzgebiet, dessen Absatzmöglichkeiten unbekannt waren. Die abenteuerliche Einstellung des merchant adventurer brachte Bewegung in eine erstarrte Gesellschaft, eine Bewegung, die von den Rittern schon lange nicht mehr ausging.

Händler mußten immer schon reisen; mit der Bildung von Städten und deren Funktion als Marktplätzen wurden viele Händler seßhaft. Um so mehr wuchs die Bedeutung der Kaufleute im Fernhandel, die oftmals zu Großhändlern wurden und mit Risikokapital arbeiteten. Vom 12. bis 14. Jahrhundert erscheint der Kaufmann in schriftlichen Quellen immer als reisender Kaufmann. Weshalb zeigt er nun ein besonders ausgeprägtes Abenteuerverhalten?

Aus mehreren Gründen nahm im 12. Jahrhundert die Edelmetallmenge zu. Die Kolonisierung Osteuropas läßt den Warenumsatz enorm steigen. Das Markt-und Städtewesen wächst. Stadtluft macht frei, hieß der Rechtsgrundsatz, der im späten Mittelalters viele Bauern in die Städte zog, weg von ihren Feudalherren. Dies und andere Einflüsse drängen den Naturalhandel zurück und lassen die Bedeutung des Geldhandels steigen. Das Geld wurde verbrieft und mußte nicht mehr transportiert werden. Sinkendes Risiko und steigende Geldmengen ließen bei Kaufleuten mit Sinn für Abenteuer völlig neue Unternehmensideen sprießen.

Natürlich ist es kein Zufall, daß sich besonders italienische Kaufleute hervortaten: [Shakespeares Kaufmann von Venedig] Erstens hatte Oberitalien im 15. Jahrhundert den höchsten Urbanisierungsgrad der Erde, zweitens bestanden über Venedig Handelsverbindungen in den Orient und drittens entstanden in Oberitalien die doppelte Buchführung, das Bankgeschäft („Lombardzins“) und das christliche Kreditwesen (man trickste das Zinsverbot durch „Rentenzahlungen“ aus).

Der geniale merchant adventurer konnte gewaltige Gewinne erzielen, ging allerdings auch gewaltige Risiken ein. Der Höhepunkt der merchant adventurer war überschritten, als sich im 14. Jahrhundert Transport und Handel trennten; der vordem reisende Kaufmann wurde seßhaft und delegierte die mit Reisen verbundenen Aufgaben.
Organisationsformen sozialisierten das Risiko. Die Kommanditgesellschaft war ursprünglich eine Gemeinschaft von Kaufleuten, die das Risiko größerer „Seedarlehen“ verteilen wollten. Gemeinschaften reisender Kaufleute wie die Hanse, Gilden, Ostindische Company … sind immer im Zusammenhang von Handel, Reisen und Sicherheit zu verstehen. Im joint venture klingt der abenteuerliche Charakter des Risikokapitals an. Der Handelskrieg verdrängte den Beutekrieg.

Jahrmärkte & Kirmes, Messen & Märkte, die ursprünglich primär dem Handel dienten, wurden auf den Unterhaltungscharakter reduziert: Der Handel ist kultiviert, es bleibt der Kult.

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