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wiki:voelkerkunde

Völkerkunde

Wer kann denn auf Anhieb den Unterschied zwischen Ethnologie, Völkerkunde und Soziologie erklären? Völkerkunde darf man nicht mehr sagen – stimmt das? Na, woll’n mal seh’n:

17 deutsche Unis bieten das Fach Völkerkunde an, etwa 10.000 Studenten belegen es. Die interessieren sich aber kaum für Friesen, Rheinländer, Bayern, selbst Basken, Schotten und Kroaten werden ignoriert. Dafür gibt’s die Volkskunde. Die Völker müssen schon recht weit weg sein: »Obwohl im Sinne unserer Wissenschaft unter Völkern alle Völker und auch kleinere nationale Einheiten wie Stämme verstanden werden, befaßt sich die völkerkundliche Forschung doch herkömmlicherweise aus praktischen und anderen Gründen bevorzugt mit den weniger komplizierten und daher der Untersuchung zugänglicheren Naturvölkern … mit geringen Mitteln zur Naturbeherrschung…« (Fischer-Lexikon Völkerkunde 1959).

  • Heckmann, F.
    Ethnische Minderheiten, Volk und Nation
    Soziologie interethnischer Beziehungen
    Stuttgart: Enke 1992
  • Nikolaus Bernau
    Als die Völkerkunde zu schimmern begann
    FAZ 12.07.2024

Da hätten sie auch gleich von Primitiven reden können, nichts anderes ist doch gemeint! Das Mittelalter sah in solch unbekannten Fremden meist den Wilden Mann und Bilder zeigten Wunder- und Mischwesen, Exoten eben. Auch der Begriff Stamm wird heute vermieden und durch Volk oder Ethnie ersetzt, was griechisch ist und wiederum nichts anderes als Volk bedeutet und außerdem was anderes ist als ein Stamm.

Eingeborene sagt man auch nicht, hip sind derzeit indigene Völker. Die werden von der UNO definiert als Menschen, die historische und traditionelle Beziehungen zu ihrem Land haben. Indigen (lateinisch) übersetzt das Fremdwörterlexikon (Wahrig 1991) mit eingeboren – political correctness treibt schon seltsame Blüten: »Mit Worten läßt sich trefflich streiten, mit Worten ein System bereiten« (Faust).

Für den Großen Meyer ist die Völkerkunde noch 1979 eine »Wissenschaft der schriftlosen Völker«. Was wird denn daraus, wenn die »Naturvölker« alle Transistorradios haben und schreiben können? Oder sie können nicht schreiben und leben in Berliner, Dortmunder oder Frankfurter Ausländerghettos? Sind sie dann für die Völkerkunde interessant? Ein paar Unis betreiben bereits eine europäische Ethnologie und sind dabei, sie mit der Soziologie zu verschmelzen, die ja schließlich »die Formen des menschlichen Zusammenlebens und die dadurch hervorgerufenen Verhaltensweisen« untersucht. Auch das Völkerkundemuseum Basel suchte einen Ausweg und nennt sich nun Museum der Kulturen. Was ist damit gewonnen? Michel Leiris fand eine schöne Metapher für das Problem des Ethnologen: »Was man zu fassen bekommt, ist immer der Schatten und nicht die Beute.«

So oder so: Das „Reisen“ bleibt weiterhin ausgeblendet und wird nicht Teil der Selbstbefragung, wobei doch ohne Reisen die Anderen nicht zu uns und die Ethnologen nich zu den Fremden kommen können.
Ebenso seltsam mutet die quantitative Explosion der Ausstellungskultur in den letzten Jahrzehnten an: die Selbstzweifel stehen dabei nicht im Gleichgewicht mit dem Bedürfnis zu zeigen, was man hat.

Wissen
Erforscher und Entdecker
Ausstellungen zu Wissen: Entdecken & Erforschen

Literatur

  • Susi Colin
    The Wild man and the Indian in early 16th century book illustration.
    in: Feest, Christian F. (Hg.): Indians and Europe. An Interdisciplinary Collection of Essays. 643 S. Aachen 1987: Edition Herodot (Nachdruck: University of Nebraska Press 1999)
  • Harbsmeier, Michael
    Wilde Völkerkunde. Andere Welten in deutschen Reiseberichten der frühen Neuzeit.
    Diss. (= Historische Studien, 12) 330 S. Frankfurt 1994: Campus. Inhalt
  • Margaret T. Hodgen
    Early Anthropology in the Sixteenth and Seventeenth Centuries.
    523 S. Philadelphia 1964: University of Pennsylvania Press
  • Kohl, Karl-Heinz
    Neun Stämme. Das Erbe der Indigenen und die Wurzeln der Moderne.
    312 S. München 2024: C. H. Beck.
    Kohl versucht zu zeigen, wie beim Entdecken des Fremden das Ich im Anderen gefunden und aufgenommen wird, assimiliert, wiedergeboren und vom Anderen wieder angenommen wird. Als Beispiel dienen
    • einerseits: Die Tupinambá in Brasilien; die Irokesen; die Aranda in Zentralaustralien; die Bororo im brasilianischen Sertão; Palau; die Kwakwaka’wakw und der Potlatch; die Hopi in Arizona; Samoa; die Dogon von Mali
    • und andererseits: Künstler von Pablo Picasso bis Ernst Ludwig Kirchner; Denker von Sigmund Freud bis Bruce Chatwin; Friedrich Engels; Aby Warburg; Marcel Mauss; Georges Batailles; Ruth Benedict, Franz Boas; Mar­garet Mead; Marcel Griaule; Géza Róheim …
    • sowie beide verbindend über Theorien, Stichwort: Kannibalismus, Totemismus, Primitivismus, Exotismus
  • John Howland Rowe
    Ethnography and ethnology in the sixteenth century .
    (=Kroeber Anthropological Society papers, 30) S. 1-19. University of California, [Berkeley], 1964 Online
    Rowe findet begriffliche Wurzeln im Werk Antropologium (Magnus Hundt, Leipzig 1501) und der Anthropologia (1506) sowie in der moral history im Sinne von Sittenkunde. Vorwissenschaftlich dienten zur Bezeichnung die Begriffe Barbar, Wilder Mann (Silvaticus, forest dweller), Wilder (savage; franz.: sans roi, sans loi, sans foi), Primitive.
  • Han F. Vermeulen
    Before Boas: the genesis of ethnography and ethnology in the German Enlightenment.
    XXIII, 718 S. Lincoln 2015: University of Nebraska Press Inhalt
    • Camille Joseph, Isabelle Kalinowski
      „Unerhörtes Sprechen“. Franz Boas und die indianischen Texte.
      Aus dem Französischen von Katrin Heydenreich. 175 S., Abb., Göttingen 2023: Wallstein. Inhalt
  • Theodor Waitz
    Anthropologie der Naturvölker Bernhard Streck (Hg. und Einleitung). Eine quellenkritische Zusammenstellung des ethnographischen Wissens auf natur- und geisteswissenschaftlicher Grundlage zur Mitte des 19. Jahrhunderts.
    Sechs Bände: XX, CXLIV, 3.314 S., 7 Farbtafeln, 4 farbige Faltkarten, Reprint der Ausgaben Leipzig 1859-1872 (= Historia Scientiarum) Olms Verlag 2007.
    • 1: Ueber die Einheit des Menschengeschlechts und den Naturzustand des Menschen.
    • 2: Die Negervölker und ihre Verwandten.
    • 3/4: Die Amerikaner.
    • 5/6: Die Völker der Südsee. (abgeschlossen von Georg Gerland)
  • Agar, Michael H.
    The professional stranger : An informal introduction to ethnography.
    XII, 276 S. London 1980 : Academic Press; Emerald, Bingley, UK, 2008
  • Kohl, Karl-Heinz
    Entzauberter Blick.
    Das Bild vom guten Wilden und der Erfahrung der Zivilisation.
    Berlin: Medusa 1981
  • Kohl, Karl-Heinz
    Abwehr und Verlangen
    Zur Geschichte der Ethnologie.
    Frankfurt am Main: Campus 1987
  • Kohl, Karl-Heinz
    Ethnologie – die Wissenschaft vom kulturell Fremden.
    München 1993: Beck
  • Kramer, Fritz
    Verkehrte Welten
    Zur imaginären Ethnographie des 19.Jahrhunderts.
    Frankfurt am Main: Syndikat 1977
  • Kauz, David
    Wilde und Pfahlbauer: Facetten der Analogisierung.
    Preprints zur Kulturgeschichte der Technik, 11. Zürich 2000: Eidgenössische Technische Hochschule, Institut für Geschichte, Technikgeschichte. DOI
  • Leonardo Piasere
    Raffaele Maffei’s Anthropologia (1506): the birth and diffusion of a (quasi)-neologism
    DADA Rivista di Antropologia post-globale, 9 (2019) 55 Online
  • Rubiés, Joan Pau
    Travellers and Cosmographers : Studies in the History of Early Modern Travel and Ethnology.
    Routledge 2023. DOI. Sammelband mit 11 Studien des Autors (1991−2005):
    • Travel writing as a genre: facts, fictions and the invention of a scientific discourse in early modern Europe
    • New worlds and renaissance ethnology
    • Instructions for travellers: teaching the eye to see
    • Travel writing and ethnography
    • Giovanni di Buonagrazia's letter to his father concerning his participation in the second expedition of Vasco da Gama (1502-1503)
    • The oriental voices of Mendes Pinto, or the traveller as ethnologist in Portuguese India
    • Futility in the New World: narratives of travel in 16th-century America
    • The Jesuit discovery of Hinduism: Antonio Rubino's account of the history and religion of Vijayanagara (1608)
    • The concept of cultural dialogue and the Jesuit method of accommodation: between idolatry and civilisation
    • The Spanish contribution to the ethnology of Asia in the 16th and 17th centuries
    • Hugo Grotius's dissertation on the origin of the American peoples and the use of comparative methods
  • Bernd Schmelz
    Rassistische und stereotypische Objektbezeichnungen im ethnologischen Museum.
    (=Working papers, 35) 38 S. Selbstverlag, Hamburg, 2021. Inhalt Zu den Beriffen Zigeuner, Neger, Mohr, u.a.
  • Steiger, Ricabeth, Taureg, Martin
    Fantasien auf Reisen. Anmerkungen zum ethnographischen Akt.
    S. 116-136 in: Michael Köhler, Gisela Barche: Das Aktfoto : Ansichten vom Körper im fotographischen Zeitalter : Ästhetik, Geschichte, Ideologie. München 1985: Bucher.
  • Thurner, Ingrid
    Wissenschaftstourismus: Der Forscher als Tourist?
    Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien 129 (1999) 227-246.
  • Der vermessene Mensch
    Spielfilm von Lars Kraume (Deutschland, 2023)
    Alexander Hoffmann, Doktorand beim Ethnologen Professor Josef Ritter von Waldstätten an der Friedrich-Wilhelms-Universität, lernt anlässlich der Berliner Kolonialausstellung 1896 die Dolmetscherin der Herero aus Deutsch-Südwestafrika kennen, Kezia Kambazembi. Jahre später sammelt Hoffmann begleitet von der Schutztruppe Deutsch-Südwestafrika Artefakte und Kunstgegenstände der Herero und Nama nach deren Genozid und öffnet Gräber, um ältere Schädel vermessen zu können.

Völker und Sprachen

Willi Stegner (Herausgeber und Bearbeiter)
Taschenatlas Völker und Sprachen
1. Auflage, Klett-Perthes Verlag Gotha & Stuttgart 2006
Broschur mit Fadenheftung 12x17,5 cm
288 Seiten, 57 farbige Karten, 130 Abb.
völkerkundliches Glossar, Register

Endlich hat sich mal jemand an dieses schwierige Thema gewagt und ein Nachschlagewerk konzipiert, das in Deutschland kaum seinesgleichen findet. Das Grundproblem stellt sich so dar: Ein geograpischer Atlas der Erde kann nach weitgehend anerkannten Regeln dargestellt werden und hat recht lange Bestand; die Haltbarkeit eines politischen Atlasses bemißt sich kaum in Dekaden, wobei viele Darstellungen politisch umstritten sind. Die Welt jedoch anthropologisch zu erschließen: nach Völkern, Kulturen, Religionen, Sprachen … ist ein Projekt, das Autor und * Kartographen gleichermaßen zur Verzweiflung treibt.

Nicht nur, daß sich der Erkenntnisstand rasch ändert – vor allem ändern sich die Kategorien der Erkenntnis, die sozial und politisch bedingt sind und vor allem die Sichtweise des Betrachters spiegeln. So beginnt dieses Buch damit, Ethnologie, Völkerkunde und Volkskunde zu erklären, um sich dann den diffizilen Begriffen von Volk, ethnischer Gruppe und Ethnie, von Stamm und Rasse zu widmen. Was ist eigentlich Kultur? Wo hört eine Sprache auf und wo beginnt ein Dialekt?

Nun, die Probleme sollen nur angedeutet werden, weil es den Mut zeigt, sich festzulegen und solch ein Werk zusammen zu zurren. Widerspruch ist unvermeidlich.

Das man dennoch viel daraus lernen kann, zeigt schon ein Blick in den Abschnitt Deutschland. Welche Amtssprache? Deutsch – stimmt. Aber wer hat gewußt, daß es bei uns – neben der Sprachen der hier wohnenden Ausländer – auch die anerkannten Sprachen Sorbisch, Dänisch, Friesisch, Niederdeutsch und Romani gibt, wobei Sorbisch ebenfalls Amtssprache ist? (siehe auch Schmalz-Jacobsen, Hansen: »Kleines Lexikon der ethnischen Minderheiten in Deutschen«) Erhellend ist jedenfalls der Blick ans Reiseziel, denn der Band ist geographisch-politisch gegliedert, um einen ersten Einblick zu erhalten, welche Völker unter welchen Namen dort leben. Die Begriffsvielfalt zu ordnen und in Bezug zu setzen, ist die Stärke dieses Werkes. Die Themen Sprachen und Religion scheinen mir vergleichsweise knapp gehalten. Die Schriften anderer Völker werden anhand einiger Schriftzeichen illustrativ gezeigt, ohnen daß damit ein praktischer Nutzen oder ein Erkenntnisgewinn verbunden wäre. Sicher gibt es zu jedem Aspekt tiefergehende Literatur, doch findet man hier den Einstieg zu einem konkurrenzlosen Preis. (Norbert Lüdtke, Der Trotter)

Völkerwanderung

Klaus Rosen
Die Völkerwanderung
1. Auflage (=Beck’sche Reihe 2180), München: C.H. Beck 2001
Broschur 11,5x18 cm: 127 Seiten, 2 Karten, Register 

Klaus Rosen, Professor für Alte Geschichte hat ein äußerst informatives Buch geschrieben: gut zu lesen und ohne die bei diesem Thema oft mitschwingenden ideologischen Töne. Es war für mich seit dem lange zurückliegenden Geschichtsunterricht die erste Beschäftigung mit dem Thema. Ich finde es spannend, denn vor dem Hintergrund eigener Reiseerfahrungen laufen andere Bilder auf meinem inneren Monitor ab als damals in der Schule. Langweilig geblieben ist allerdings das (unvermeidbare?) Abhaspeln von Namen und Daten über viele Seiten im Mittelteil des Buches, das liest sich wie eine in Sätze gebrachte Tabelle. Man spürt das bemühen, die120 Seiten möglichst effektiv zu füllen. Ein paar Bögen mehr hätten sicher dem Text gutgetan. Hilfreich wäre es sicher auch, zuvor den Band „Germanen“ aus der gleichen Reihe zu lesen. (Norbert Lüdtke, Der Trotter)

Nomaden

Anthony Swift, Ann Perry
Nomaden. Auf den Spuren der [[wiki:tuareg|Tuareg]], Inuit und Aborigines
München: Knesebeck 2001. Leinenband mit Fadenheftung 23,5 x 28,5 cm
144 Seiten, 100 Farbfotos
doppelseitige Farbkarte mit Hinweisen auf die Nomadenvölker
lexikalische Kurzübersicht über die bedeutendsten Nomadenvölker
Quellenverzeichnis

Der großformatige Band ist ansprechend gestaltet, er verlockt zum Blättern und gucken, insbesondere im zweiten Teil, der aus drei »Fotoessays« besteht: Hirten, Jäger und Sammler – Die Bewohner der Wälder – In Schnee und Eis. Die Farbfotos sind gut und nehmen den größten Teil des Inhalts ein, oft ist ihnen ein Zitat über Nomaden zur Seite gestellt. Die ersten 60 Seiten verteilen sich auf vier »Kapitel«, in denen der Textanteil etwas höher ist. Genau genommen handelt es sich um einen bildorientierten Materialienband, denn die beiden Autoren sind eigentlich Herausgeber. Fast alle Fotos und die meisten Texte stammen von anderen – die Autoren ordnen Text- und Bildzitate lediglich an. Ich vermute, daß auch einige Textteile von ihnen stammen, jedoch ist das schwierig auszumachen. Diese Texte sind Reiseberichten entnommen, das Quellenverzeichnis wird fälschlich Bibliographie genannt. Auch der Untertitel weckt falsche Erwartungen, denn diese Völker kommen zwar vor, sind aber nicht explizit Gegenstand einzelner Kapitel. Zum Gucken und Schmökern ist der Band gut. Wer systematische Informationen erwartet, etwas zum Nachschlagen sucht oder sich ins Thema einlesen will, sollte ein anderes Werk kaufen. Leider gibt die »Bibliografie« dazu keine geeigneten Hinweise wie etwa auf das Standardwerk von

F. Scholz
Nomadismus. Theorie und Wandel einer sozio-ökologischen Kulturweise
Erdkundliches Wissen Band 188
Stuttgart 1995

Mit verwandten Themen beschäftigt sich auch

John H. Bodley
Der Weg der Zerstörung. Stammesvölker und die industrielle Zivilisation
Trickster Verlag 1983

Das ist sicher informativer, doch ebenso sicher weniger unterhaltsam. (Norbert Lüdtke, Der Trotter)

Amélie Schenk, Galsan Tschinag
Im Land der zornigen Winde
Geschichte und Geschichten der Tuwa-Nomaden aus der Mongolei
2. Auflage, Hrsg., Frauenfeld: Im Waldgut 1998
15x22: 237 S., 8 Farbtafeln

»Tuwa ist die einzige Region der Welt, wo das Rentier … und das Kamel … in enger Nachbarschaft gezüchtet werden.« dzg-Mitglied und Ethnologe Ilja Brustein berichtete in Trotter 92, S. 74-83 von seinen Reisen in die lang verschlossene Region Südostsibiriens. Ebenso außergewöhnlich und kaum bekannt wie die Nomaden ist dieses Buch.
Dialogisierend erfährt der Leser Mythen und Riten, Hintergründe und Alltägliches aus der Welt der Tuwa. Dabei wechseln sich die beiden Autoren ab: Ethnologin und Schamanenexpertin Amélie Schenk und Galsan Tschinag, Stammesoberhaupt und Schriftsteller. Vergangenheit und Gegenwart, Theorien und Erfahrungen werden zu ungewöhnlichen Collage verwoben. Ausgesprochen lesenswert! Leider fehlt ein Sachregister, um zu den verstreuten Themen zu gelangen. (Norbert Lüdtke, Der Trotter)

Götter und Mythen in Zentralasien und Nordeurasien

Egidius Schmalzriedt & Hans W. Haussig (Hg.)
Götter und Mythen in Zentralasien und Nordeurasien
Wörterbuch der Mythologie, Erste Abteilung, Band VII, Zweiter Teil
1. Auflage, Unter Mitarbeit von Juha Pentikäinen, Per Kvaerne, Agnes Birtalan, Karénina Kollmar-Paulenz. 
Stuttgart: Klett-Cotta 2004. Pappband mit Umschlag, Lesebändchen und Fadenheftung
15 x 24 cm: XXIV, 689 Seiten, 72 Tafeln, 7 Karten, Sach- und Namenregister

Mythologie bezeichnet die Wissenschaft der Mythen, Sagen und Märchen einer Kultur oder eines Volkes. Das Wörterbuch der Mythologie ist das erste Lexikon, in dem versucht wird, die Mythen des gesamten eurasischen Kulturkreises systematisch nach dem neuesten Stand der historischen und religionswissenschaftlichen Forschung aufzuarbeiten. Seit 1983 arbeiten Editionszentrale und Redaktion in Tübingen. Der zuletzt erschienene Band VII.2 »Götter und Mythen in Zentralasien und Nordeurasien. Zweiter Teil« enthält:

  • Die lappische (saamische) Mythologie von Juha Pentikäinen
  • Die Mythologie der Bon-Religion und der tibetischen Volksreligion von Per Kvaerne
  • Die Mythologie der mongolischen Volksreligion von Agnes Birtalan
  • Die Mythologie des tibetischen und mongolischen Buddhismus von Karénina Kollmar-Paulenz

Zusammen mit dem ersten Teil deckt der Band ein riesiges geographisches Gebiet ab und umfaßt eine Vielfalt sprachlich und kulturell heterogener Völker der mandschu-tungusischen, ural-altaischen, finno-ugorischen und tibeto-birmanischen Sprachfamilien. Teilweise wurde deren Mythologie in diesem Band erstmals in deutscher Sprache umfassend dargestellt. Der Band ist einzeln bestellbar; die Reihe umfaßt: Band 1: Götter und Mythen im Vorderen Orient Band 2: Götter und Mythen im Alten Europa Band 3 (in Vorbereitung) : Götter und Mythen der Griechen und Römer Band 4: Götter und Mythen der kaukasischen und iranischen Völker Band 5: Götter und Mythen des indischen Subkontinents Band 6: Götter und Mythen in Ostasien Band 7/I: Götter und Mythen in Zentralasien und Nordeurasien. Darin: Mythologie der mandschu-tungischen Völker, der Uralier Sibiriens, türkische und alttürkische Mythologie. (Norbert Lüdtke, Der Trotter)

Voodoo in Afrika

Gert Chesi
Voodoo in Afrika
Menschen im Banen der Götter
1. Auflage, Innsbruck: Haymon 2003
Pappband mit Umschlag und Fadenheftung 21 x 26 cm
240 Seiten, zahlreiche Abbildung, meist farbig, Glossar und Literaturverzeichnis

Der Journalist, Fotograf und Ethnologe Gert Chesi leitet das von ihm 1995 gegründete Museum der Völker in Schwaz bei Innsbruck, mit den Schwerpunkten buddhistische Kultur, insbesondere aus Thailand und Burma sowie Voodoo. Sein Reiseleben schilderte er in einer Biografie, die ich hier vor einiger Zeit vorgestellt habe (Afrika im Herzen, Haymon 2002)

So erfahren wir, daß er sich bereits vor mehr als 40 Jahren erstmals mit Voodoo befaßt hat, einem Oberbegriff für verschiedene religiöse Bewegungen, die sich aus unterschiedlichen Wurzeln speisen (afroamerikanische Synkretismen).

Chesi wurde ob dieser Beschäftigung zum Spezialisten, der sich seinem Thema nicht in erster Linie museal oder akademisch nähert, sondern durch Reisen in die Länder, zu den Menschen, die Voodoo praktizieren. Er beobachtet sie in Trancezuständen, spricht mit Magiern und Priestern, dokumentiert die Objekte, die in Riten verwendet werden. Hunderte dieser wundervollen Artefakte, Figuren, Bilder … haben wir im vergangenen Jahr in seinem Museum bewundert. Doch bilden die Kunstobjekte nur die sichtbare Oberfläche des Glaubens. Was darunter geschieht, ist in diesem kenntnisreichen Band nachzulesen und auf einmaligen Bilddokumenten zu sehen:
»Ich möchte meine sehr intime Kenntnis der äußeren und inneren Vorgänge an die sogenannte westliche Welt weitergeben, denn weder schockierte oder besserwisserische Ablehnung noch romantisch verklärte, vom Geheimnis faszinierte Bewunderung wird dem Phänomen Voodoo gerecht.« (Norbert Lüdtke, Der Trotter)

Indigene Völker in Indien

Evangelisches Missionswerk in Deutschland EMW
Adivasis
Indigene Völker in Indien
1. Auflage (=Weltmission heute Band 58)
Redaktion: Kirsten Kleine & Martin Keiper
Broschur 15x21 cm: 204 Seiten, Textabb.

Adivasis bezeichnet zusammenfassend die ersten, ursprünglichen Bewohner Indiens, die früher als tribals oder Stammesvölker bezeichnet wurden. Das vorliegende Buch versucht im ersten Teil einen Einblick in die Lebenswirklichkeit der Adivasis zu geben und dabei ihren Aufbruch zum Kampf für ihre Rechte zu dokumentieren. Im zweiten Teil wird reflektiert, wie die Adivasis dem Christentum begegnen. Durchgängig will das Buch die Solidarität mit den Adivasis fördern. Diese Ziele haben ein gut strukturiertes und fundiertes Werk entstehen lassen, das in ein Thema einführt, welches auf dem deutschen Buchmarkt so gut wie nicht präsent ist. (Norbert Lüdtke, Der Trotter)

Aborigines

Anna Voigt, Nevill Drury
Das Vermächtnis der Traumzeit
Leben, Mythen und Traditionen der Aborigines
Aus dem Englischen von Martina Bauer
München: Droemer 1998. 
23x28 cm: 192 Seiten, zahlr. farb. Abb., Anmerkungen, Auswahlbibliographie, Register

Das ist ein Buch für Reisende, die gerne träumen. Kein Bildband der “exotischen Ureinwohner Australiens”, sondern ein verständnisinniges Suchen, liebevolles Herantasten, vorsichtiges Formulieren und vor allem wunderschönes Zitieren von Liedern und Bildern der Aborigines.

Die Autoren haben lange bei den Aborigines gelebt und versuchen zum Ausdruck zu bringen, was sie dort “erfahren” haben. Man spürt ihre Ehrfurcht vor der Kultur dieser Menschen und sie hüten sich vor Pauschalisierungen. Dementsprechend schwer fällt es mir, Beispiel und einzelne Aussagen herauszupicken, denn dies käme einem unzulässigen Vereinfachen gleich.

Man möge mir verzeihen, wenn ich dieses Werk uneingeschränkt empfehlen kann: schauend und lesend wird uns eine fremde Welt näher gebracht: Schöpfung; Mythen der ewigen Traumzeit; Heilige Erde, heiliges Land; Traumpfade, Musik und Tanz; Ritual und Zeremonie; Totem, Verwandschaft; Frauenangelegenheiten, Männerangelegenheiten; Lebenszyklen – diesen Themen widmen sich die einzelnen Kapitel. (Norbert Lüdtke, Der Trotter)

Indigene Völker in Kolumbien

Frank Semper
Die Rechte der indigenen Völker in Kolumbien
Vorwort von Prof. Prof. h.c. Dr. Wolf Paul
1. Auflage, Hamburg: Sebra 2003
zugleich Diss. Universität Frankfurt am Main
Broschur 15,5 x 23,5 cm: 386 + XII Seiten, 12 Farbfotos, einigen Textabb.
Literaturverzeichnis (14 Seiten), 1200 Fußnoten

Kolumbien findet sich in der deutschsprachigen Literatur nur als Marginalie, seine Indígenas werden hierzulande kaum wahrgenommen. Frank Semper ist so etwas wie der Pfadfinder dieses Landes, dieser Völker in Deutschland. Mit „Nah dran: Kolumbien“ und „Tor zum Amazonas“ hat er bereits zwei Bücher zur Region vorgelegt. Dies zeigt die ernsthafte und andauernde Beschäftigung Sempers mit „seinem“ Thema.

Mit seinem neuen Buch geht er nun gründlich in die Tiefe und untersucht am Beispiel Kolumbien die Rechtssituation und Lebenswirklichkeit der Indigenen. Kleingedruckt erfährt man, daß die Arbeit gleichzeitig an der Frankfurter Universität als Dissertation eingereicht wurde – man darf den Autor also auch zum „Dr. jur.“ beglückwünschen! Verständlich, daß er den Band Völkerrechtlern, Ethnologen und Lateinamerikanisten empfiehlt. Die Resonanz der Fachpresse zeigt, daß mit diesem Werk eine Lücke geschlossen wurde und überschüttet es mit Lob.

Doch der Autor wendet sich auch an die breite Leserschaft – das ist löblich und ich wünsche ihm und seinem Buch viele Leser, doch ist das mehr als ein frommer Wunsch? Es verlangt einiges an Durchhaltevermögen, man muß es sich erarbeiten. Erleichtert wird dies, weil Semper selbst Reisender und Reiseschriftsteller ist. Er geht aus vom selbst Erlebten und hält sich nah an der Lebenswirklichkeit. Auf 12 Seiten schildert seine Begegnungen mit den Indianern Kolumbiens: »Denn es ist mir ernst damit, dieses außerordentlich wichtige Thema - die Indigenen in Kolumbien sind vielerorts in ihrer Existenz bedroht - nicht allein der Fachdiskussion zu überlassen. Bisherige Quintessenz eines langen Reiselebens, das mich durch alle Länder Lateinamerikas, viele asiatische und afrikanische Länder geführt hat: Kolumbien ist eines der wirklich noch geheimnisvollen und aufregenden (nicht unbedingt gleichzusetzen mit gefährlich) Orte auf diesem Planeten, ein Land, dem ich mich immer wieder mit großer Begeisterung nähere.« Für ernsthafte Kolumbienreisenden, für jeden, der sich für die indigenen Völker Lateinamerikas interessiert, wird seine Lektüre ein Gewinn sein. (Norbert Lüdtke, Der Trotter)

Leo Frobenius

Hans-Jürgen Heinrichs
Die fremde Welt, das bin ich
Leo Frobenius: Ethnologe, Forschungsreisender, Abenteurer
1. Auflage (=Reihe), Wuppertal: Hammer 1998. 12,5x20,5cm: 262 S., 59 Abb. 

Die erste Biographie des umstrittensten und berühmtesten deutschen Völkerkundlers legt ein Autor vor, der seine Kompetenz bereits bei Werken über die Ethnologen Leiris, Hubert Fichte, Lacan und Lévi-Strauss bewiesen hat. Der Schriftsteller und Kulturanthropologe Heinrichs geht jedoch über eine Biographie hinaus. Frobenius war ein Außenseiter mit »anderen« Vorstellungen. Die von ihm geprägten Begriffe und Theorien standen in krassem Gegensatz zur Völkerkunde seiner Zeit. In dem von Heinrichs entworfenen Bild ordnen sich fachliche und persönliche Verhältnisse von Frobenius zu seinen Kollegen vor dem Hintergrund zeittypischer Denkmuster und -moden. Titel und Untertitel treffen ins Schwarze – wer sich davon angesprochen fühlt, sollte sich das Buch kaufen. Doch die Ansprüche an den Leser sind hoch; auch ein Fremdwörterlexikon hilft nicht immer. (Norbert Lüdtke, Der Trotter)

Race, Sex und Gender

Robert Mohr
Sex-mal um den Globus!
Über das Liebesleben der Völker – Ein Ethno-Bericht
Deutsche Erstausgabe, Stuttgart: Gatzanis 1996,21 x 13 cm: 167 S. 

Falsch! Hier geht es nicht darum aufzuzeigen, wo man die besten Liebesabenteuer erlebt. Auch wenn Titel und äußere Aufmachung des Buches dies erahnen lassen. Vielmehr hat sich der Autor damit beschäftigt, wie die verschiedenen Kulturen der Erde mit Sex umgehen. Was in der einen Kultur als undenkbar gilt, kann in der nächsten als das gewünschte Ziel gelten. Unter anderem werden Themen aufgegriffen wie Inzucht, Beschneidungen, Treue oder Prostitution. Zusammenhänge und Hintergründe werden dargelegt, was dem Leser ein besseres Verständnis des Verhaltens anderer Völker in Bezug auf Sex gibt. Einzig der Umgang mit dem Thema in den heutigen Industrienationen kommt meiner Meinung nach dabei etwas zu kurz. Lohnenswert. SR

Charles King
Schule der Rebellen
Wie ein Kreis verwegener Anthropologen Race, Sex und Gender erfand.
Aus dem Englischen von Nikolaus de Palézieux
Hanser Verlag, München 2020,  480 S.

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wiki/voelkerkunde.txt · Zuletzt geändert: 2024/09/25 11:30 von norbert

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