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Reisen nach dem Zweiten Weltkrieg
Norman D. Ford
war sehr wenig erfreut, daß der Weltkrieg seine weiteren Reisepläne durchkreuzte, nachdem er bis 1939 mit dem Fahrrad das britische Königreich sowie Irland und die Schweiz bereist hatte. Konsequenterweise plante er bereits während des zweiten Weltkriegs als britischer Marinesoldat die Weltumsegelung mit einer 50 Jahre alten Segelyacht, die er 1944 bei Essex entdeckt hatte. Optimistisch schrieb er wenige Wochen vor Kriegsende einen Artikel für den Daily Mirror, der es, vielleicht wegen seiner Kühnheit, bis auf die Titelseite brachte: „Two Men needed to help Sail Yacht on 20-Year voyage around the world.“ 200 Antworten erhielt er, und da er nur zwei Leute brauchte, gründete er mit den übrigen den „Globetrotters Club“.
Zu dieser Zeit war Norman im Hafen von Rangoon und vervielfältigte im Hinterzimmer eines kleinen burmesischen Ladens die ersten Informationsblätter des Clubs. Für fünf Schilling Mitgliedergebühr bot er den Mitgliedern eine monatliche Broschüre an mit Infos über „how to travel the world at rock bottom cost“ sowie eine Mitgliederliste. 40 der 200 Angeschriebenen nahmen dieses Angebot an.
Mittlerweile war es August 1945, der Krieg beendet. Bis Frühling 1946 wuchs die Anzahl der Mitglieder auf fünfzig und Norman machte das Schiff klar. Eine Gruppe von Mitgliedern um William Redgrave
radelte durch Europa, eine andere Gruppe wollte auswandern, um auf diesem Weg die Welt kennenzulernen. Norman schreibt: „Im ersten Jahr nach Kriegsende war Reisen in Großbritannien schwierig, da die Lebensmittel rationiert waren, und auf dem Kontinent, weil scheinbar alle Schiffe und Flugzeuge eingesetzt wurden, um die Kriegsteilnehmer nach Hause zu befördern.“ Doch auf einer Probefahrt erweist sich die Segelyacht als zu altersschwach und 1947 fliegt Norman Ford in die USA.
Wasser kennt keine Grenzen
Mehr Erfolg hatte der Schweizer Hans von Meiss-Teuffen
. Er verbrachte die letzten Kriegsjahre als Lastkraftwagenfahrer in London und verdiente genug, um sich im Juli 1945 ein Sieben-Tonnen-Segelboot, eine 35-mm-Filmkamera, Leica und Rolleiflex, Sextant und Chronometer kaufen zu können. Mit der „Speranza“ verließ er Ende August England über die Themse, als erster privater Schiffsführer nach dem Krieg, Spezialkarten der Royal Navy nutzend, die die noch existierenden Minenfelder enthielten. Er hatte versprechen müssen, die Karten nach Passieren der Minenfelder sofort zu vernichten.
In Lissabon überwinterte er an Bord seines Schiffes: „Am Nachmittag kamen meist Bekannte, die ihren Bekannten das Schiff zeigen wollten, und abends mußte im neu angeschafften Smoking zu einer der vielen Einladungen gegangen werden, wo alte Bestellungen [für bedruckte Tücher] abgeliefert und neue Aufträge angenommen wurden. Gesellschaftliches Leben war für mich zur Notwendigkeit geworden…. Nach den schweren Winterregen… drehte ich… einen Dokumentarfilm über Kork. Mehr als eine Woche verbrachte ich in den ausgedehnten Korkwäldern im Süden Portugals.“ Zwei weitere Filme haben den Stierkampf und einen „Spaziergang durch Lissabon“ zum Thema.
Am 11. März 1946 schließlich segelte er weiter. Drei Wochen blieb er in Tanger, ebenso lange in Gibraltar, und hielt dort Vorträge über Einhandsegeln vor den englischen Offizieren und Kadetten. Den vorläufigen Abschluß seiner zwölfjährigen Vagabundenzeit auf dem Meer bildete die Überquerung des Atlantiks in der Rekordzeit von 58 Tagen über Neufundland und Neuschottland. Es schlossen sich drei Jahre in Amerika an und im April 1949 finden wir ihn überwinternd in Alaska.
Europa war klein und hungrig
Malcolm Keir
, auch ein frühes Mitglied des Globetrotter Clubs, berichtet aus jener Zeit: „In the late 1940s and early 1950s most members didn´t travel much beyond western Europe. Yugoslavia was about the outer limit and it was in every sense a `frontier zone´… because conditions in Yugoslavia were in many ways that what today we would associate with some parts of the Third World. Roads were notoriously bad, food was atrocious an local living conditions came as a shock to many travellers.“
Ähnlich schockierend muß es in dieser Zeit in Deutschland ausgesehen haben. 1946 und 1947 war die Nahrungsmittelsituation schlechter als während des Krieges. „Dieses Volk ist - in seinen Lebensmitteln, in seiner Heizung und seiner Unterkunft - auf den niedrigsten Stand gesunken, der seit hundert Jahren in der Geschichte des Westens bekannt ist,“ befand der frühere amerikanische Präsident Hoover
nach einer Informationsreise durch die amerikanische Besatzungszone. Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Mittel: „Man kann es dem einzelnen nicht verwehren, das Dringendste zur Erhaltung von Leben und Gesundheit zu nehmen, wenn er es durch Arbeit nicht erhält.“ Damit gab der Kölner Kardinal Frings
in der Sylvesterpredigt 1946 seinen Segen zum Mundraub, fortan in Köln „fringsen“ genannt. In der britischen Zone wurde im Januar 1946 die Tagesration für Zivilisten auf 1046 Kalorien begrenzt: Zwei Scheiben Brot, vielleicht eine Idee Margarine, ein Löffel Milchsuppe, zwei Kartöffelchen.
Die Aussicht auf einen Sack Kartoffeln ließ die Menschen tagelange Reisen machen, bei denen der Kalorienaufwand größer war als der Erfolg. Viele Menschen waren in dieser Zeit in Europa unterwegs, die wenigsten jedoch freiwillig: Vertriebene, Flüchtlinge, Exilanten, Soldaten - Menschen, die eine Heimat suchten. Willkommen waren sie nirgends. Noch 1947 ist es in den deutschen Städten für Ortsfremde verboten, sich niederzulassen, Arbeit zu suchen oder eine Wohnung. In Bayern wurden Ortsfremde in Züge gepfercht, die dann tage- und wochenlang unterwegs waren in die Mitte oder den Norden Deutschlands: Abschiebung aller Nichtbayern.
Im Herbst 1947 haben Güterzüge auf allen Strecken Vorrang vor Personenzügen: Menschen gibt es genug, an Gütern mangelt es und überschüssige Energie muß dazu dienen, Güter zu produzieren. An den britischen, amerikanischen und französischen Zonengrenzen müssen die Menschen die Züge verlassen, Papiere und Gepäck werden kontrolliert - von Deutschen im Auftrage der Besatzungsmächte. Reisende ohne Passierschein oder mit falschen Papieren müssen sich vor dem einfachen Militärgericht verantworten. „Auf der Rückfahrt wird hauptsächlich das Gepäck nach amerikanischem Eigentum durchsucht…. Jede Art von Alkohol ist verdächtig…. Nichts darf nach Kaffee riechen….. Geschlossene Dosen, mit und ohne Aufschrift, fallen der Beschlagnahme anheim…. Wer zwei Pfund Butter im Gepäck hat, macht sich des Schwarzhandels verdächtig…. Diese kuriose Zonenbegrenzung erinnert an alte Zeiten, wo es über dreißig Reichszölle gab und der Krummstab und die territorialen Pfalzgrafen fleißig Geld kassierten.“
Noch schwerer waren die Grenzen zu den Nachbarländern bewacht: „Das Phänomenale der Grenze wird deutlich, wenn ein Unkundiger nichtsahnend die Grenze um hundertfünfzig Meter überschreitet, vom Grenzer aufgegriffen, abgeführt, zu Protokoll vernommen, dem deutschen Grenzschutz übergeben, drei Tage in ein Gefängnis eingesperrt und vom Einfachen Militärgericht Nordhorn zu 200 Reichsmark Geldstrafe verurteilt wird…“ So passiert dem Journalisten Henkels 1947.
Trümmerliteratur und Reporter
Den allierten Truppen folgten die Kriegsberichterstatter und Reporter, bald auch die ersten Schriftsteller. Sie berichteten über Menschen, Städte, Länder, was sie sahen und fühlten. Elisabeth Wiskemann
schreibt: „Um die Erlaubnis zu erhalten, Anfang Oktober 1945 von London aus nach Italien zu fahren, mußte ich mir eine Khaki-Uniform zulegen. Die alliierte Militärregierung betrachtete einen akkreditierten Journalisten als Offizier und teilte ihm (oder ihr) Militärrationen zu, die zwar nicht sehr appetitlich waren, in Anbetracht der Knappheit und der entsprechend hohen Preise aber trotzdem willkommen.“
Doch der Umfang der „Trümmerliteratur“ ist gering. Einem der wenigen Berichte verdanken wir die Beschreibung einer Eisenbahnfahrt im Herbst 1947. Stig Dagermann
trifft einen sechzehnjährigen Jungen im ausgemusterten Soldatenrock, der aus der russisch besetzten Zone geflohen ist und nach Amerika will. Dagermann gibt ihm Geld für einen Fahrschein nach Hamburg. „Andere deutsche Züge sind auch tagsüber dunkel, weil man vor die leeren Fensterhöhlen Holzplatten genagelt hat. Wenn man es hell haben möchte, kann man in Abteilen sitzen, wo es keine Platten gibt, aber dort ist es kälter, und es regnet hinein. Eifrige unsichtbare Hände schieben einen in dieses nächtliche Abteil. Im Dunkeln spielen sich kleine, aber verbitterte wortlose Handgemenge ab, getretene Kinder schreien, zahllose Füße schieben die sperrigen Säcke der Flüchtlinge zur Seite. Das dunkle Abteil ist voll, doch es kann noch voller werden. Nicht zu glauben, wie viele Menschen auf diesen paar Quadratmetern Platz haben. Erst als es so voll ist, daß es weh tut, wird die Tür geschlossen, im ganzen Zug hört man das Zuschlagen von Türen und die verzweifelten Stimmen jener, die zu spät gekommen sind und noch eine Nacht in den Ruinen dieser Stadt verbringen müssen, statt in andere zu kommen. Wir stehen in einem Abteil für acht Personen, aber wir sind fünfundzwanzig. Fünfundzwanzig in einem Abteil für acht, was heißt, daß es keine Rolle spielt, ob die Heizung eingeschaltet ist. Schon bevor sich der Zug in Bewegung setzt, rinnt einem der Schweiß herunter. Platz für zwei Füße hat man nicht, man muß auf einem Fuß stehen, fällt aber trotzdem nicht um, man bräuchte zum Stehen überhaupt keinen Fuß und fiele trotzdem nicht um, weil man zwischen anderen schwitzenden Körpern festsitzt wie in einem Schraubstock…. gegen Morgen hält der Zug auf einem großen, leeren hellerleuchteten Bahnhof…. Paßkontrolle, Gepäckkontrolle. Alle Reisenden haben den Zug mit Gepäck und allem zu verlassen. Nach einiger Wartezeit auf dem Bahnhof von Eichenberg, der Grenzstation zwischen dem deutschen England und dem deutschen Amerika, erscheinen einige lange amerikanische Soldaten. Sie kauen Kaugummi, gehen umher und kicken gegen Koffer und prüfen Ausweise. Gerhard ist nervös, er hat seinen Paß leicht verändert und sich als Landarbeiter statt als Mechaniker bezeichnet, um die Russen zu täuschen, aber alles geht gut…. Noch bevor es richtig hell ist, spielen sich auf den Unterwegsbahnhöfen dramatische Szenen ab. Der Zug ist schließlich nach wie vor überfüllt, auf diesen Bahnhöfen aber stehen verzweifelte Menschen, die ein ebenso großes Recht zu reisen haben wie wir. Eine verzweifelte Frau läuft von Abteilfenster zu Abteilfenster und schreit, sie müsse zu einem Sterbefall, aber noch nicht einmal, wer zu einem Sterbefall muß, kommt in diesen Zug, es sei denn, er hätte genug Kraft, sich hineinzuzwängen. Ein großer kräftiger Mann drängt sich in unser Abteil, er boxt mit einem in der Türöffnung Stehenden, und er boxt besser, und auf diese Weise, die einzige Weise, kommt er herein…. Ein wenig später stampfen frierende Füße auf dem Dach, ja, sogar auf dem Dach reist man schon…. In der Lüneburger Heide fällt der erste Schnee dieses Herbstes, und die Menschen kommen vom Dach und von den Puffern und flehen, hereinkommen zu dürfen, sie sind weiß wie Baumwolle…. Als wir uns Hamburg nähern, wird Gerhard nervös. Er glaubt nicht mehr an Amerika…. Er weiß, es gibt keine Schiffe, aber eingestanden hat er sich das noch nicht.“
„Am vorigen Sonntag [1947], um 9 Uhr morgens, hielten sich die die Temperaturen in der Lüneburger Heide unter 15 Grad Celsius. Um diese Zeit wurden in Munsterlager 1224 ehemalige Kriegsgefangene in 14 Waggons nach Ostdeutschland in Marsch gesetzt. In einem Waggon hockten durchschnittlich 85 Leute, soweit sie hocken konnten. Die Hälfte der Wagen war nicht heizbar… „Soviel Leute habe ich noch nie in 14 Waggons untergebracht,“ äußerte der deutsche Transport-Offizier, Ex-Leutnant Horst Schuster
, befriedigt. Und der englische Leit-Offizier meinte: „Es ist ja nicht sehr schön, aber wenn einer aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause kann, würde er in einem Boot über den Ozean rudern.“
Auswandern und verdrängen
Die Verhältnisse in Deutschland waren so, daß viele Menschen auswandern wollten. „Europamüde stehen Schlange“ titelte der Spiegel einen Beitrag am 22.3.1947, doch Deutschen ist dieser Weg noch versperrt.
Der Spiegel schrieb am 18.1.1947: „Die Winterkurorte an der südfranzösischen Küste… bemühen sich, die Spuren der Kämpfe… zu verwischen. Auch hier räumen vor den großen Hotels die militärischen Posten den Platz, und goldbetreßte Portiers nehmen ihre Stelle wieder ein….Es wurde beschlossen, die noch beschlagnahmten Hotels beschleunigt den Eigentümern zurückzugeben…. Die Holländer… haben von den rund 100000 Hotelbetten, über die Holland verfügte, jetzt fast drei Viertel wieder hergerichtet und hoffen, daß die Schlachtfelder von Nymwegen und Arnheim fürs erste genug Anziehungskraft besitzen. Einen Fremdenzustrom sondergleichen erlebt zur Zeit die Schweiz…. vor allem von Engländern und Amerikanern.“
Die Fahrt, eine von Tigges herausgegebene „Europäische Reisezeitschrift“, erscheint bereits seit 1947 und ist damit vermutlich die erste Reisezeitschrift nach dem Krieg. Die Sehnsucht nach der Ferne war also bereits da! Aber Reisen? Vielleicht die erste weltreisende Frau nach dem Krieg mag die Schweizer Baronesse Dagmar von Loë
gewesen sein: „Endlich war der Krieg zu Ende, endlich hatten wir nach unendlichen Mühe die Visen erhalten, die Plätze reserviert und unsere Koffer gepackt. Die Reise ging los: In zehn Monaten im Zickzack um die Welt.“ Aber auch diese Fahrt fand überwiegend mit dem Schiff statt, von Genua durchs Mittelmeer und den Suez-Kanal nach Indien, hinüber nach Australien und Neuseeland durch die Südsee nach Amerika. In Australien saß die Reisende mehrere Monate fest, da es keine freien Plätze in den Verkehrsmitteln gab.
Im Januar 1947 waren noch sämtliche 22 Brücken zwischen Koblenz und Trier zerstört. Wer von Mainz nach Wiesbaden wollte, brauchte einen Passierschein. Die Anzahl der Pkw in Niedersachsen (21.400) war erheblich geringer als 1938 (89.572), die Anzahl der Motorräder auf ein Zehntel (15 730) gesunken. Lediglich die Anzahl der Lkws war gering gestiegen, auf 22.200. Und zu deren Betrieb wurden Benzinmarken ausgegeben.
Für Deutsche geschlossen
Doch nicht nur die Nöte des täglichen Lebens erschwerten das Reisen. Der österreichische Kanzler Leopold Figl
meinte damals: „Arbeit und Buße sind für die Deutschen im Augenblick die einzige Medizin - und nicht Erholung in Österreich.“ 1949 durften deutsche Touristen, so es sie denn überhaupt gab, Österreich zwar durchqueren, aber nicht als Urlaubsland mißbrauchen! Man kann vermutlich davon ausgehen, daß der österreichische Bundeskanzler mit seiner Meinung international nicht allein dastand, und wenn sich schon die Österreicher so deutlich abgrenzten: Was erwartete dann die Deutschen in Holland, Belgien, Frankreich? Und vor allem: Geld! Bis zur Währungsreform 1949 herrschte in Deutschland der Tauschhandel vor, da soll ein Gästezimmer in Garmisch auch schon mal für zwei Zentner Brikett vergeben worden sein.
Die Studentenvertretung der Münchener Uni annoncierte 1949 am Schwarzen Brett: „Studienreise nach Italien - Zwei Wochen mit dem Fahrrad. 120 Mark alles inklusive.“ Von den 1147 Bewerbern durften 15 schließlich mit, Voraussetzungen: „charakterlich einwandfrei, entnazifiziert, fachlich qualifiziert, würdig“, Besitz eines Fahrrads, eines Ersatzschlauches und Flickzeugs. Dazu mußten Einladungen vorliegen, Visa eingeholt und die Bestätigung abgegeben werden, daß man dem Gastland nicht auf der Tasche läge. Die Einfuhr von Deutscher Mark nach Italien war verboten.
Mit solchen Problemen waren die Deutschen nicht alleine, wenngleich sie als Kriegsverlierer zusätzlich fremdbestimmten Zwängen, Regeln, Anweisungen ausgesetzt waren. Alle Nationen litten unter den Nachwehen des Krieges. Am 12. Oktober 1949 berichtet die „abz-aktuelle bilderzeitung“, ein in Düsseldorf erscheinendes, bundesweit vertriebenes Magazin, in einem ganzseitigen (!) Artikel: „Rucksack-Engländer flohen aus Tirol. Pfundabwertung macht Strich durch die Urlaubspläne…. So waren es die günstigen Währungsbedingungen, die auch den ärmeren Kreisen der englischen Bevölkerung die Möglichkeit gaben, den Erholungsurlaub nach Tirol zu verlegen.“ Die Finanzdecke scheint dünn gewesen zu sein, denn eine Abwertung des englischen Pfundes führte zur massenhaften Rückreise der Engländer.
Stellvertretend unterwegs
Magazine sind heute, und waren es auch damals, ein Frühwarnsystem für Strömungen, geheime und offene Wünsche. Der Bedarf nach Informationen und Bildern aus anderen Ländern war groß, und da Reisen für den Durchschnittsdeutschen kaum erschwinglich waren, wurden, kaum war die Währungsreform durchgeführt, Reporter stellvertretend auf die Reise geschickt. Die „Nord-West-Illustrierte“ schickte 1949 fünf Bildberichterstatter auf eine Reise um die Welt. Im Vordergrund stehen Bilder, nur wenige Zeilen Text erläutern die Fotos von Einheimischen („Drei schöne Zulu-Exemplare, aus Natal, die sich meiner Kamera präsentierten.“); das Erleben der Reporter spielt kaum eine Rolle. C. Zagourski-Neumann
war in Afrika unterwegs, I.F.K. Peters
im Fernen Osten.
Schon im folgenden Jahr setzt die Quick noch eins drauf („Dem Quick-Leser gehört die Welt“) und schickt zwei leidenschaftlich Reisende in die Welt hinaus: Dr. Ulrich Mohr
berichtete unter anderem von der „Anden-Kundfahrt 1950“ nach Bolivien; Dr. Herbert Tichy
schrieb über die Sadhus am Ganges. Ihre Wege kreuzten sich in der indischen Stadt Hardwar. Mohr begab sich von dort auf die Heimreise, für Tichy begann die Reise erst. Im Juni 1951 schreibt Quick anläßlich eines Bildberichts von Tichy aus Ceylon: „Tichy, einer der Weltreisenden, die für die großen Reportagenserie „Dem QUICK-Leser gehört die Welt“ seit mehr als einem Jahr in vier Erdteilen unterwegs sind.“ Und auch bei Quick: Fotos, Fotos, Fotos - Blitzlichter einer Reise, die nicht beschrieben wird. Nur das Exotische, Absurde, Ungewöhnliche, Unglaubliche wird gezeigt, mit drei, vier Sätzen kurz kommentiert, dann folgt der Schnitt zum nächsten Bild.
Für die Revue ist 1951 die Journalistin Herta Klier
unterwegs und berichtet im April bereits zum dritten Mal aus dem Nahen Osten („Ägypten - Gesehen mit den Augen einer Frau“). Auch in den folgenden Jahren ist sie unterwegs, dabei durchaus auf Globetrotter-Art: „Die junge Berlinerin Herta Klier trampte um die halbe Welt, durchquerte den ganzen australischen Kontinent und kam nach elf Monaten glücklich wieder in Deutschland an… und das alles fast ohne Geld.“ Sie kaufte sich ein Ticket und ging am 2. Februar 1951 mit genau 182,50 Mark in der Tasche an Bord: „Übertriebene Sorgen machte ich mir nicht, denn ich hatte arbeiten gelernt. Ich konnte nicht nur waschen, kochen und stricken, sondern auch holzhacken, Elektriker spielen, Kinder versorgen und Corned Beef verkaufen. Ich machte die angenehme Erfahrung, daß ich mit diesen Fähigkeiten im Ausland einigermaßen leben und mein Reisegeld verdienen konnte.“ Sie reiste von Sydney über Canberra, Melbourne, Adelaide nach Alice Springs, Darwin, Cairns und zurück nach Sydney. Neu an ihren Berichten ist, daß erstmals persönliche Reiseerlebnisse im Zentrum stehen, der Alltag geschildert wird.
Klar ist aber auch: hier sind Stellvertreter unterwegs, Reisen bleibt weiterhin die Ausnahme: Das DER befördert 1950 lediglich 647 Einzelreisende, erst Erleichterungen in der Devisenzuteilung führen zu 2.481 beförderten Einzelreisenden im Folgejahr. Dennoch muß bereits absehbar gewesen sein, daß es sich unternehmerisch bald lohnen würde, in das Reisegeschäft einzusteigen, denn Touropa wird 1951 gegründet, Scharnow-Reisen 1953, ebenso wie Hummel. Das hat auch mit der Ausgabe von Pässen zu tun: Nach Kriegsende ging die Paßhoheit kraft Besatzungsrecht auf die Alliierte Hohe Kommission über, die dafür das „Combined Travel Board“ einrichtete, dessen Hauptquartier bis zum 31.12.1952 bestand. In dieser Zeit unterlag die Bevölkerung starken Beschränkungen, von Reisefreiheit konnte nicht die Rede sein. Zwar bestand auch danach noch Paßzwang an den Grenzen, jedoch wurde dieser zügig gelockert und auch der Personalausweis als Reisedokument anerkannt. Auch die Möglichkeit des Trampens kam zunehmend in Frage, lief doch bereits am 4. März 1950 der 100.000 Käfer vom Wolfsburger Band.
Lebensfreude gesucht
1951 erscheint „Mit offenen Augen“, ein Sammelband mit Beiträgen zeitgenössischer deutscher Dichter zum Lob des Reisens. Im Vorwort stellt Ernst Glaeser
einen Zusammenhang her zwischen dem Reisen als grundlegend friedlicher Tätigkeit und dem Ende aller Reisen während des Krieges: „Es ist kein Zufall, daß während der Kriege das Reisen aufhört. Man ersetzt es durch Truppen- oder andere Menschenverschiebungen. Militärs sehen keine Landschaften, nur Terrain. Die Eisenbahn wird zum rollenden Material. Der Mensch wird es auch.“ Das Buch erscheint (1951), da der Herausgeber glaubt, daß „die Zeit des rollenden Menschenmaterials“ vorbei und es an der Zeit ist, „das Reisen im eigenen Land wieder in das Bewußtsein einer zivilen *Freude zu erheben“ und damit dem Frieden zu dienen. Im gleichen Jahr noch erscheint auch „Glückliche Reise. Heiteres Wissen von den Reisegenüssen“, die Wiederauflage eines zuletzt 1939 erschienenen Titels. Hier meint der Autor: „Noch nie haben so viele Menschen im Reisen Lebensfreude gesucht wie heute.“
Nach hinreichend viel Arbeit und Buße wuchs der Anspruch auf Erholung, Reise und Unterwegs-sein, nur kosten durfte es nichts. In dieser Zeit häufen sich Reiseführer übers Campen: Die angemessenen Antwort auf ein billiges Reisen und alle, alle waren mit dem Zelt unterwegs: Der Arzt und der Buchhalter, die Verkäuferin und der Literaturstudent, der Lehrling und der Bergmann. Zelten ist in und die Campingidee wirbt auch für romantische Fahrten zu zweit. Nur eines ist klar: Es soll kein Abenteuer sein!
Anders im Commonwealth: Jill Donnisthorpe
war Mitglied des Globetrotters Club und reiste 1951 per Autostop von London nach Johannesburg. Dafür erhielt sie die „Presidents Silver Medal… for the most interesting globetrotting feat of the year“. Das Reisen war damals für die Briten leichter als für andere Europäer, denn das Britische Imperium existierte noch und mit ihm dessen Verkehrsverbindungen; wer Glück hatte, den nahm die RAF schon mal in ihren Flugzeugen mit. 1954 veröffentlichte der Gründer des Globetrotters Club, Norman Ford
, in Amerika den „Bargain Guide to World Shipping Routes and Schedules“ als einen der ersten Reiseführer für Low-Budget-Reisen. Die einzigen anderen Informationsquellen waren Baedeker und Guide Bleu, diese zielten aber auf ein anderes Publikum. 1957 hielt eine Veronica Maclean
einen Vortrag über „To Persia by Landrover“. 1957-58 verbrachte der Amerikaner Robert Christopher
die meiste Zeit bei den Tuaregs, zog mit Kamelkarawanen durch die Sahara. Der zweite Präsident des Globetrotter Clubs, Gordon Cooper
, publizierte vielfach über seine Reisen, bevor er 1965 in Nairobi ums Leben kam.
Diese Art der Berichterstattung, des stellvertretenden Reisens für all jene Emsigen, die am deutschen Wirtschaftswunder mitwirkten und denen die Unbeständigkeit der Kriegsjahre für lange Zeit die Lust genommen hatten, sich erneut der Unwägbarkeit der weiten Welt anzuvertrauen, hielt lange Zeit vor, war keine journalistische Eintagsfliege. Was sich ändert, ist der Stil der Berichterstattung. 1959 ist Rolf Italiaander
unterwegs in Afrika für die Frankfurter Illustrierte und berichtet in der Serie „Hexenkessel Westafrika“ als „Forschungsreisender“. Statt der früher ein- bis zweiseitigen Bildartikel finden wir nun einen Artikel über fünf Seiten mit nur fünf Bildern und überwiegend Text. Berichtet wird subjektiv aus der Sicht des Reisenden, man erfährt auch einiges über seine Erlebnisse, doch dienen diese in erster Linie zur Vermittlung von Kenntnissen über das politische und kulturelle Geschehen in den bereisten Ländern.
Im Juli 1960 berichtet Oscar Peter Brandt
in der Serie „Tagebuch eines Globetrotters“ über das Leben in fernen Ländern, z.B. über Bolivien: „Im teuersten Land der Welt“. Wichtiger als subjektive Reiseeindrücke scheint hier der pädagogische Impetus: Der Leser soll etwas über das Land wissen, objektive Informationen über dessen politische, wirtschaftliche, kulturelle Verhältnisse erhalten.
Im Herbst beginnt die Serie Dr. Lindemanns
über seine Einhand-Atlantik-Überquerung; im Winter startet Ludwig Koch-Isenburg
seine Serie. Lindemann und Koch-Isenburg dürfen in jeder Fortsetzung mehrere Seiten füllen, Fotos sind nur noch Aufhänger und sie erzählen von ihren Erlebnissen: man fährt viel über ihre Reiseumstände, erhält darüber hinaus nur wenig Informationen.
Gemischte Erfahrungen
Hanna Suter
, eine schweizerische Missionarin, war den Krieg über in China und versuchte nach Kriegsende in die Schweiz zu gelangen. Aber erst „Mitte Juli 1946 schien es, daß die Reisemöglichkeiten nun vorhanden seien von Shanghai nach Europa.“ Und auch diese ersten Möglichkeiten standen für deutsche Missionarinnen noch nicht offen. Hanna Suter ist am 20. Oktober in Shanghai, erhält am 25. Oktober einen schweizerischen Paß. Das Gesundheitsamt verlangt Impfungen gegen Pest, Cholera, Gelbes Fieber, typhöse Fieber, Pocken und Typhus, „aber sie waren so freundlich, zwei Sorten zu mischen, so daß es mit einem Stich ging“. Für Schiffspassagen sah es den ganzen November schlecht aus, alles belegt - doch dann kann sie das unbenutzte Flugticket einer anderen Missionarin übernehmen und fliegt am 11. Dezember von Hongkong nach Europa. Das Flugzeug von Shanghai nach Hongkong war spartanisch ausgerüstet: “…innen ein einziger Hohlraum, das nackte Weißmetall… hinten die Ecke für allerlei Bedürfnisse durch einen Vorhang abgetrennt….Eine Reihe Sitze von Segeltuch ohne Armlehnen; für den Rücken Segeltuchstreifen…„ Fünf Tage dauert der Flug mit dem Wasserflugzeug über Rangoon, Karachi, Bashrah, Kairo und Marignane nach England. Übernachtet wird in den großen Hotels, von Kriegsschäden ist nirgends die Rede, erst bei einer Zwischenlandung auf Sizilien berichtet Hanna Suter von Minenräumarbeiten. Von ihr erfahren wir auch, daß Ausländer nur mit Schweizer Währung in die Schweiz einreisen dürfen.
Göran Schildt
, in Schweden ansässiger Finne und Redakteur beim Svenska Dagbladet, war von Mai bis November 1947 mit einer 6,5-Tonnen-Ketsch unterwegs ins Mittelmeer; die Reise verlief unproblematisch: „Ich erklärte ihnen, daß das Leben in Finnland ganz frei und friedlich ist, und daß wir zu unserem Vergnügen auf dem Weg nach Frankreich sind.“ Sie legen in den skandinavischen Häfen an, segeln nach England, durchqueren Frankreich auf den Kanälen - und erwähnen nirgends Spuren des Krieges, der doch gerade erst zwei Jahre vorbei ist. Nur das nicht mehr existierende Zentrum von Le Havre ist eine Erwähnung wert, doch selbst deren Ruinen sind bereits weggeräumt. Schildt hat Geld, Verpflegung für mehrere Monate, ist unabhängig, lediglich in Frankreich ist er in den Kanälen auf den rationierten Treibstoff angewiesen, dessen Beschaffung Probleme macht; im offenen Meer wird gesegelt.
Der Engländer George Catlin
hielt sich 1946 und 1947 in Indien auf. Er wollte klären, ob die Lehre des Mahatma Ghandi
neue politische Möglichkeiten für die Welt eröffne. Politisch-philosphisch-religiöse Betrachtungen stehen im Vordergrund, über die Reiseumstände ist leider nichts zu erfahren, nur das eine: Es ging. Trotz aller Schwierigkeiten und widrigen Umstände fanden alle diese Reisenden immer wieder einen Weg, kamen voran.
Quellen
Literatur
Catlin, George
Ahhimsa. Auf Ghandis Spuren.
Hamburg: A. Springer. 1949. (EA 1948). OHLn. 357p. 14 x 21. 1 Karte
Christiansen, Hannelore. Joachim Hein.
Komm mit wir zelten!
Berlin: VEB Sportvlg. 1959. OHLn. 137p. 10,5 x 15
Birnbaum, Lilian.
Fahrende.
Wien: Medus 1984
Enzensberger,Hans Magnus (Hrsg.).
Europa in Trümmern. Augenzeugenberichte aus den Jahren 1944-1948.
(=Die andere Bibliothek Bd. 65). Frankfurt/M.: Eichborn 1990. OPppbd. 301p. 11,5 x 22.
Glaeser, Ernst (Hrsg.).
Mit offenen Augen. Ein Reisebuch deutscher Dichter.
Stuttgart:J.G. Cotta. 1951. 1.A.. OLn, OU. 255p. 11,5 x 19. 16 Tfll, davon 1 farb.
Günther, Herbert.
Glückliche Reise. Heiteres Wissen von den Reisegenüssen.
München: W. Langewiesche-Brandt. 1939. 1.A.. OPppbd. 149p. 12 x 19. Hamburg: A. Springer. 1949. (EA 1948). OHLn. 357p. 14 x 21. 1 Karte
Henkels, Walter.
Alltag in Trizonesien. Spurensicherung, dabei an die Enkel denkend.
Düsseldorf: Econ. 1986 1.A. 256p. OLn, OU. 14 x 22. 16 SW-Tfll.
Hiller, Peter.
Camping für dich und mich.
München: W. Andermann. 1957. OBrosch. 95p. 17 x 18,5. Textzeichn. v. Lilo Rasch-Nägele
Loë, Dagmar von
In 10 Monaten im Zickzack um die Welt
Luzern: Selbstverlag 1949 OLn, 63p, 16 SW-Tfll.
Medert, Klaus; Süßmuth, Werner.
Paß- und Personalausweisrecht. Bd. 2: Paßrecht.
Köln: Dt. Gemeindeverlag
Meiss-Teuffen, Hans von
Ziel im Wind. Auf Fahrt durch Länder und Meere.
Ullstein, Wien, 1951. 14,5 x 22,5cm, OLn, 360, 54 SW-Abb. a. 16 Tfll, 5 Karten
Ordemann, Hans-Joachim.
Paßrecht. Ausweisrecht. Melderecht des Bundes. Textausgabe mit Erläuterungen.
München: C.H. Beck. 1988.
Schildt, Göran.
Die Wunschreise.
Wiesbaden: F.A. Brockhaus. 1956. 2.A.. OLn. 263p. 15 x 23,5. 24 SW-Abb. a. 24 Tfll, 3 Ktn.
Scholz, H.(orst) E.(gon).
Tausend Türen in die weite Welt. Beiträge zur Geschichte der deutschen Reisebüros.
Frankfurt/M.: Reisebüro Bulletin. 1984. OBrosch. 240p
Suter, Hanna.
Ein Flug in die Heimat.
Thayngen/Schaffhsn.: Selbstvlg.1947. OBrosch. 53 S,13 x 19. 3 Fotos
Wiskemann, Elizabeth.
Erlebtes Europa. Ein politischer Reisebericht 1930 bis 1945.
Bern: Hallwag 1969
Zeitschriften
ZEIT-Magazin: Die Trips der frühen Jahre. (Ca. 1980)
abz-aktuelle bilderzeitung 2. Jg. (1949) 41, 4
Nord-West-Illustrierte 3. Jg. (1949) 44, 14-15
Quick, 3. Jg. (1950) 20, 652-655
Quick, 4. Jg. (1951) 22, 714-715
Revue, (1950) 15, 30-31, (1952), 4, 7, 9-11
Globe 44 (1995) 5, 11
Frankfurter Illustrierte 47 (19.12.1959) 51, 22-28
Frankfurter Illustrierte 48 (9.7.1960) 28, 42-43; 48 (25.6.1960) 26, 40-41; 48 (2.7.1960) 27, 30-31; 48 (24.9.1960) 39, 13-19; 48 (1.10.1960) 40, 30-38; 48 (22.10.1960) 43, 47-51; 48 (17.12.1960) 51, 32-36
Spiegel, Jahrgänge 1947-1949
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