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wiki:blinder_passagier

Blinder Passagier

Der Blinde Passagier ist gegenüber dem Verkehrsmittelbetreiber ein Schwarzfahrer, der sich versteckt. Hinzu kommt jedoch eine zweite Komponente, denn entweder ist er ein unerwünschter Mitfahrer, weil der Veranstalter den Teilnehmerkreis der Fahrt exklusiv gebildet hat und/oder er nimmt sich eine Reisefreiheit, die ihm rechtlich nicht zugebilligt wird, ist also beispielsweise auf der Flucht, verlässt den Staat illegal über eine Grenze, weil Dokumente fehlen und gilt als Flüchtling.
Diesen drei Verhältnissen entsprechend drohen Sanktionen durch (beispielsweise) den Kapitän eines Schiffes, manchmal durch den Leiter der Fahrt, durch die Grenzbeamten des Zielstaates oder jene des verlassenen Staates, wenn der Blinde Passagier zurückgebracht wird. Oft vergessen werden die praktischen Bedürfnisse des blinden Passagiers, denn er muss trinken, benötigt Proviant und muss sich erleichtern können; insbesondere Letzteres ist in einem Versteck schwierig, weder spurenlos noch geruchlos möglich.

Der Blinde Passagier der Postkutschenzeit war dagegen jemand, der vom Fuhrmann oder Kutscher ohne volle Bezahlung mitgenommen wurde, dann allerdings nicht in der Kabine, wie dies Johann Gottfried Richter 1798 beschrieb 1):

Wer jemals eine Reise als blinder Passagier gethan hat, wird mir Recht geben. 
Mein Sitz, den der Postillion mir hinter der Kutsche zubereitet hatte, 
war so äußerst elend und erbärmlich daß ich häufig abstieg, um meine Gelenke 
wieder einzuränken. Vor einer jeden Station mußte ich, wie gewöhnlich, 
eine Weile vorher absteigen, und ein gutes Stück zu Fuße wandern, bis ich wieder 
die Erlaubniß erhielt, mich aufsetzen zu dürfen. Am schlimmsten war 
das Ding in der Nacht. Während meine Herren in der Poststtube saßen, 
und sich bene sein ließen, stand ich unter freiem Himmel 
und klapperte mit den Zähnen.

Im Englischen wird der Blinde Passagier eher neutral als clandestine traveller bezeichnet oder ursprünglich als stowaway. Stowaway bezeichnete im 17. Jahrhundert 2) die verstauten Lebensmittel und Vorräte und wurde dann auf die Person übertragen, vermutlich weil diese die Hohlräume dazwischen nutzte.
Im Französischen wird der voyageur clandestin 1719 erstmals erwähnt 3) und auch passevolant genannt.
Der russische Ausdruck Безбилетник bezbiletnik bedeutet eher Schwarzfahrer und der Spitzname заяц `Hase´ lässt ahnen, welche Eigenschaften besonders gefragt sind.

  • Der blinde Passagier, in: Friedrich Gerstäcker: Die Flußpiraten vom Mississippi. Aus dem Waldleben Amerikas. Zweyte Abteilung, Jena, Leipzig: O. Wigand, 1848, Kap. 29. S. 402-411.
  • Stroux, Marily, Reimer Dohrn
    Blinde Passagiere
    Es ist leichter, in den Himmel zu kommen als nach Europa.
    Begleitband zur Ausstellung „Blinde Passagiere“ Hamburg 1996; auch als gleichnamige Postkartenserie. 125 S., Frankfurt a.M. Brandes und Apsel 1998
    Bilder und Texte zu Fluchtursachen, Fluchtwegen und dem behördlichen Umgang mit Flüchtlingen.
  • Stenmanns, Julian
    Blinde Passagiere und die umkämpften Wege der Logistik
    Eine viapolitische Analyse des Lieferkettenkapitalismus.
    S. 182-203 in: Oswald, Debora, Linda Schiel, Nadine Wagener-Böck: Wege: Gestalt - Funktion - Materialität. Berlin 2018: Reimer.
1)
Richter, J. G.
Bockssprünge, Narrenstreiche, Abentheuer und Genie-Reisen Johann Gottfrieds Richters, Zettelträgers beym Leipziger Theater: Nebst einer Anlage von seltenen und nützlichen Arkanis. Leipzig 1798
2)
A New Voyage Round the World, Band 1, 1689; Journals of the House of Lords, Band 11, 1637
3)
Antoine Houdar de la Motte: Fables nouvelles, 1719
wiki/blinder_passagier.txt · Zuletzt geändert: 2024/08/05 10:51 von norbert

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