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wiki:reisefreiheit

Reisefreiheit

»Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, 
zu verlassen und in sein Land zurückzukehren.«

Nach Artikel 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UN ist die Reisefreiheit eines der international verbrieften Menschenrechte; in der EU gehört sie zu den Grundfreiheiten, eine weltweite Rangfolge zeigt, dass zunehmende Reisefreiheit auch mit anderen Werten verbunden ist. Reisefreiheit ist mehr als Bewegungsfreiheit, kommt aber nicht ohne den Begriff der Heimat und des Bürgers aus:

  • Das Fahrende Volk war so reisefrei, dass es überall unerwünscht war und abgeschoben wurde.
  • Heimatlose genießen vielleicht Reisefreiheit, nur nicht in ihrer Heimat.
  • Untertanen und Untergebenen konnte »Urlaub« gewährt werden mit der Pflicht zurückzukehren.
  • Bürgern eines Staates weisen mit dem Reisepass außerhalb des eigenen Staates die Erlaubnis vor, unterwegs zu sein und zeigen zudem, dass ihr Staat keinen Anlass sieht, sie festzuhalten.

1845 setzt die Eisenbahn die Reisefreiheit praktisch durch: »Ohnedem ist das Prinzip der Reisefreiheit überall so gut wie durchgesetzt, wo die Methode des Reisens durch die Eisenbahnen demokratisirt wird. In Wahrheit! man thut weise, durch die Macht der Dämpfe die Entfernungen auch dem geringeren Mann dienstbar zu machen. Die Genugthuung, welche diesem der mechanische Sieg über die nebenher rollende Ertrapostkutsche gewährt, kann nicht hoch genug angeschlagen werden, wenn man weiß, zu welchen socialistischen Glossen die Erscheinungen der Eximirten auf den Chausseen bereits Veranlassung gaben.« 1)

Was gut klingt, war praktisch noch nie allgemein durchsetzbar. Die DDR rechtfertigte ihre Einschränkung der Reisefreiheit erfolgreich mit §12 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte: »Die oben erwähnten Rechte dürfen nur eingeschränkt werden, wenn dies gesetzlich vorgesehen und zum Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (ordre public), der Volksgesundheit, der öffentlichen Sittlichkeit oder der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist und die Einschränkungen mit den übrigen in diesem Pakt anerkannten Rechten vereinbar sind.«

Individualtourismus war nicht erwünscht und wurde selbst bei Reisen in die sozialistischen Bruderstaaten erschwert durch Devisenbeschränkungen, die kaum eine Selbstversorgung zuließ, Kapazitätsbeschränkungen für Fahrplätze und Unterkünfte sowie Melepflichten und Reiseverlaufskontrollen auch etwa in Bahnen und Bussen oder an Zufahrtsstraßen der großen Städte. Die Historikerin Heike Wolter sagte im Interview 2): »Sowohl in der Weimarer Zeit als auch später in der DDR ging es um die Entprivilegierung des Reisens. … Noch komplizierter gestalteten sich Anlehnungen an das Engagement des nationalsozialistischen Staates im touristischen Bereich. Kraft durch Freude (KdF) und Freier Deutscher Gewerkschaftsbund (FDGB) agierten mit der Aufgabe, Gewerkschaftsmitgliedern günstige Ferienreisen anzubieten, durchaus ähnlich. … Ob nun das „Seebad der 10.000“ in Prora oder das „1. Sozialistisches Seebad“ auf der Schaabe, ob MS „Arkona“ oder Kdf-Flotte, ob Reisen als „Geschenk des Führers“ oder Urlaubsfreuden als „Errungenschaft unserer Arbeiter-und-Bauern-Macht“ – in beiden Fällen ging es darum, Urlaub und Reisen der Bürger zu kontrollieren, aber auch als Erfolg der Sozialpolitik zu propagieren.«

»Freie Fahrt nach Gießen« und ähnliche Reisefreiheit-Slogans forderten die DDR-Bürger bei den Montagsdemonstrationen 1989. Die Bekanntgabe der Reisefreiheit für die Bürger der DDR führte unmittelbar zum Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 3). Im selben Jahr wurde Reisefreiheit zum Wort des Jahres. Ob dann alle nach Gießen fuhren?

1635 gestattet Kaiser Ferdinand III. den Handelsleuten zu Nürnberg nach Frankfurt »auff die Meß« zu reisen »auch Sicherheit der Kauff und Handelsleuth« 4) Im Mittelalter stellten die Herrschenden im Bereich ihrer Herrschaft Geleitbriefe aus, welche der Reisende käuflich erwerben konnte (»freies Geleit«). In diesen Briefen verpflichtete sich der Straßenbesitzer zu Schadensersatz, wenn etwa der Kaufmann durch Überfälle Schaden erlitt. Der Schutzbrief des ADAC steht in dieser Tradition, er gilt bis zur chinesischen Grenze und selbst in Teilen Afrikas (Marokko). 18 Millionen Deutsche suchen Schutz beim ADAC. 1974 forderte der ADAC »Freie Fahrt für freie Bürger« - drei Monate nach dem Höhepunkt der Ölkrise und zwei Jahre nach dem Höchststand der Verkehrstoten in Deutschland. Mobilität als totale Mobilmachung? Freies Geleit für alle, die hinterm Steuer sitzen?

Für Reisende aus Europa ist die äußere Freiheit (im europäischen Herkunftsland) groß, jedoch die äußere Freiheit in vielen Reiseländern häufig sehr gering. Das hält Reisende selten vom Reisen nach und in solchen Ländern ab. Einen Sonderfall stellen die USA dar, die nach den Terroranschlägen 2001 die Reisefreiheit in die USA äußerst restriktiv handhaben. Insbesondere verärgert es viele Globetrotter, dass dabei auch Reisen in Drittländer betroffen sind: Wer etwa in den Iran reist, bekommt kein USA-Visum.

Das bedeutet im Umkehrschluß aber auch, daß es nicht die äußere Freiheit ist, die Globetrotter attraktiv finden, mag sie auch eine Voraussetzung seiner Reisen sein. Die innere Freiheit steht im Vordergrund. Praktisch ist Reisefreiheit verbunden mit dem Recht auf einen Reisepass des eigenen Landes und mit offenen Grenzen.

»Visafrei bis Schanghai«
forderten die Leipziger Montagsdemonstranten 1989
vor der friedlichen Revolution in der DDR.

Insbesondere totalitäre Staaten schränken die Reisefreiheit ihrer Bürger ein, verhindern das Überschreiten der Grenzen durch Gewalt und sanktionieren »Republikflucht« durch Strafen, oft auch Kontakte zu Ausländern. Das Motiv »Weltfrieden durch Weltreisen« ist insofern ein permanenter Aufstand gegen totalitäre Regime (Liste der unschönen Länder).

  • Stefan Esders
    Reisende soll man nicht aufhalten? Über Infrastrukturen sowie erwünschte und unerwünschte Mobilität im westgotischen Spanien.
    S. 151−182 in: Ignacio Czeguhn, Cosima Möller, José Antonio Pérez Juan, Yolanda Quesada Morillas (Hg.): Wasser - Wege - Wissen auf der iberischen Halbinsel. Vom Römischen Imperium bis zur islamischen Herrschaft. (=Berliner Schriften zur Rechtsgeschichte, 6) 384 S. Baden-Baden 2016: Nomos DOI https://doi.org/10.5771/9783845269689 Inhalt https://d-nb.info/108214360X/04
  • Leibetseder, Mathis
    Reisen unerwünscht?
    Über ein Kapitel frühneuzeitlicher Gesetzgebung in Bayern und Brandenburg-Preußen.
    In: Forschungen zur Brandenburgischen und Preussischen Geschichte. N.F. 13 (2003) 227–247.

siehe auch * Henley Passport Index

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1)
S. 34 in: Friedrich Anton Freiherr von Schönholz
10 Jahre in Ungarn. Erlebnisse und Beobachtungen eines Weltbürgers.
2 Bde. Leipzig 1845: Johann Friedrich Hartknoch
2)
Clemens Maier-Wolthausen
„Visafrei bis nach Hawaii“ – Urlaubsträume, Trends und Reiseziele in der DDR.
Interview mit Heike Wolter, in: Deutschland Archiv, 30.5.2018, Link: www.bpb.de/269663
3)
Nachdem die neue Reiseverordnung in Kraft trat wurde jetzt Bürgern, die zuvor noch hatten fahren dürfen, die Genehmigung versagt. Ihr Antrag wurde von der Volkspolizei nicht einmal entgegengenommen. Die Empörung darüber war beträchtlich. Die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) der Staatssicherheit berichtete darüber Ende Januar 1989: „Hinweise zur Reaktion der Bevölkerung auf die Verordnung über Reisen von Bürgern der DDR nach dem Ausland vom 30. November 1988“ der ZAIG des MfS vom 27.1.1989„
4)
WIR Ferdinand der dritte von Gottes Gnaden zu Hungarn und Böheim König … Entbieten N. allen und jeden … Unser Königl. Gnad und alles Guts, und geben euch hiemit Gnädigst zuvernemen, Was Gestalt Wir den gesampten Handelsleuten zu Nürnberg auff ihr untertheänigstes Anhalten, nacher Franckfurth … auff die Meß daselbst, Krafft dieses Patents, Ihre Handlungen zuführen, auff: und abzuraisen, gnädigst verwilligt … Geben zu Philipsburg den Neun und zwaintzigisten Monatstag Augusti, im Sechzehenhundert fünff und dreyssigsten, Unserer Reiche deß Hungarischen im Zehenden, und deß Böheimischen im Achten Jahr : WIr Burgermeistere und Rath der Stadt Nürnberg, bekennen und thun kund hiemit, daß dieser, von unserm Cantzley Registratorn Hieronymo Ammon, vidimierte Abdruck … wegen continuation der Commercien, auch Sicherheit der Kauff und Handelsleuth … Geschehen den 31 Augusti, Anno 1635.
1 Blatt mit Radierung, Vidimus des Notars Hieronymus Ammon in Philippsburg, 1635, 29. August; [Nürnberg], 1635, 31. August. Online
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