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Kap

Eine geographische Singularität (Raumvorstellung) an der Küste von Ozeanen und Meeren, meist auskragend und weithin sichtbar, die durch ihre Formenvielfalt nicht eindeutig abgrenzbar ist zur Landspitze oder zur Halbinsel. Zudem werden Kaps - den Umständen ihrer Entstehung durch Erosion entsprechend - in geologisch kurzen Zeiträumen stark verändert.

Vom Land aus gesehen weist ein Kap besondere Eigenschaften auf, weil die Wahrnehmung auf einem Kap durch besondere Empfindungen beeinflusst wird wie etwa durch:

  • die eigenen Bedeutungslosigkeit, ausgelöst durch den ungehinderten Blick über ein endloses Gewässer zum Horizont in der Ferne ohne ein sichtbares festes Ziel;
  • die eigene Machtlosigkeit, ausgelöst durch die Naturgewalten: Wetter, Wind und Brandung;
  • das Gefühl der Ausgesetztheit, ausgelöst durch die Isolation am Rande des Festlandes;
  • der Sog des Abgrunds (l'appel du vide, call of the void, high place phenomenon) an der Grenze zwischen Leben und Tod, zwischen Oikumene und Nicht-Oikumene.

Vom Meer aus gesehen ist ein Kap ebenfalls ambivalent, jeoch mit wieder anderen Eigenschaften, denn es

  • ist ein guter Orientierungspunkt für die Planung der Navigation (span. cabotage), weil aus der Ferne zu sehen und durch seine Form deutlich zu identifizieren, jedoch:
  • sind Winde und Strömungen im Umfeld des Kaps nur begrenzt berechenbar und erschweren das Navigieren praktisch.
    So galt beispielsweise das Kap Bojador (arab. Abu Khaṭar ابو خطر, `Vater aller Gefahren´) an der westafrikanischen Küste bis 1434 als nicht überwindbar.
  • weist durch starke Erosion meist eine Steilküste auf und damit auch felsige Untiefen, jedoch:
  • sorgen Winde und Strömungen oft auch für eine windgeschützte Bucht im Windschatten des Kaps.

Die Bezeichnung Kap findet sich in den meisten europäischen Sprachen abgeleitet aus lateinisch caput `Haupt´ (franz. Cap, engl. Cape, span. Cabo; jedoch russ. мысъ mys ab 1651, wahrscheinlich aus mykati 'teilen'.) und bedeutungsgleich im Arabischen Ras und Hebräischen rōš ראש aus phönizischem bedeutungsähnlich zu germanischem Topp für dasselbe geographische Phänomen (dabei das germanische Höft, hoved, Haupt verdrängend) und ist sinnverwandt mit Raumvorstellungen, die mehr die 'Spitze' als die Höhe betonen wie span./ital. Punta, german. Ort, während in den Küstengebieten des Weißen Meeres die Metapher der 'Nase' herangezogen wird. 1)
Die antiken Kapnamen bezeichnen ein Kap nüchtern nach Äußerlichkeiten, etwa nach der vorherrschenden Windrichtung (Kap Zephyrion Ζεφύριον), nach ihrer Form (Kap Drepanon Δρέπανον 'Sichel'), nach den Anwohnern (Kap Metagonion Μεταγώνιον).
Im Lateinischen werden Kaps vielleicht erstmals mit einem kategorischen Begriff aus Sicht der Seeseite bezeichnet, promunturium/promonturium (engl. promontories, deutsch Vorgebirge, griech. akrōtḗrion).
Dagegen scheint die Bezeichnung mancher Kaps als Ende der Welt (z.B. Kap Finisterre) auf lateinischen Wurzeln aus römischer Zeit zu beruhen und bezeichnet dann einen Extrempunkt an der Peripherie des Imperiums, der eine absolut nicht erweiterbare Grenze kennzeichnet.

  • Dihle, Albrecht
    Zur nautischen Fachsprache der Griechen.
    Glotta 51.3/4 (1973) 268–80. Online .
  • Jean-Marie Kowalski
    Navigation et géographie dans l’antiquité gréco-romaine. La terre vue de la mer.
    Antiquités – Synthèses, Band 14. Paris 2012: Picard. 256 S., 46 Abb.
  • Noth, Martin
    Zum Ursprung der phönikischen Küstenstädte.
    Die Welt des Orients, 1.1 (1947) 21–28. Online
  • Robert Werner
    Das Καλόν άκρωτήριον des Polybios.
    Chiron 5 (1975) 21 ff DOI
    Mit umfangreichem Material zu den Kap-Namen der Antike und deren Zuordnungen.
  • Ausstellungsliste Weltumrundungen & Navigation mit 9 Ausstellungen von 1977 bis 2021 und dort insbesondere Navigare necesse est - Geschichte der Navigation 2008/09.

Die Wahrnehmung der Küste aus der Sicht der antiken Küstenschifffahrt wurde bereits vielfach diskutiert mit insgesamt mageren Ergebnissen und vielen Vermutungen, etwa die Funktion der periploi betreffend.
Die Wahrnehmung der Küste von Land aus und damit wiet vor Einsetzen der Küstenschifffahrt scheint allerdings noch nie untersucht worden zu sein.
Über alle Namensgebungen hinweg haftet einer Vielzahl der Kaps zwischen dem Nordpolarmeer die sekundäre und viel ältere Bezeichnung 'heilig' an:

  • Swiatoi Noss Святой Нос in der Murmansk Oblast (und namensgleich drei weitere Kaps andernorts bis zum Baikalsee) 2)
  • Ras Mohammed, früher Poseidon, an der Südspitze des Sinai am Roten Meer 3)
  • Rosh Qadosh (Karmel) 4)
  • das Kap Sounion an der Südspitze von Attika (Homer)
  • Ras Oman, das Kap des Helios, Cabo de San Vicente in Lusitanien, Yedi Burun in Lykien 5), das westliche Kap in Sarmatien (Achill's Dromos) auf Korsika 6)
  • das Promunturium Lacinium an der Ostküste von Bruttium (= Capo Colonna) mit einem Hera-Heiligtum im Zusammenhang mit den Fahrten des Herakles und über den Kult der Iuno Lacinia verbunden mit dem Hirtenleben. 7)
  • … und weitere als heilig bezeichnete Kaps wie Ras el Abjad (weißes Vorgebirge) und Ras esch Schakka, Hiera Akra, Sagres, das römische Promontorium Sacrum, Anas, Kephalai Κεφαλαί 8)9).

Kennzeichnend werden häufig erwähnt Steinhaufen und Steinsäulen wie die Säulen von Gibraltar (→ Steinmann) sowie Bezüge zu Wetter- und Halbgöttern wie Herakles, Melkart, Baal (→ Reisegötter, Wilder Mann).

  • Soares, R.
    O Promontorium Sacrum: intemporal Santuário Natural, petrificada Paisagem Sagrada, vertiginosa atração da Finisterra.
    GARANTA - Revista de Letras, Artes e Cultura 1 (2018) 74-79.
  • Laurin Mackowitz
    Die Kluft zwischen Festung und Kap: Metaphern europäischer Identität im Kontrast.
    DOI S. 275–292 in: Andrea Brait, Stefan Ehrenpreis, Stella Lange: Europakonzeptionen. Baden-Baden 2020: Nomos Inhalt
  • Jorun Poettering
    Als die Säulen des Herakles umstürzten. Wissen, Wissenschaft und Herrschaft in der portugiesischen Expansion (15. und 16. Jahrhundert)
    Saeculum 64.2 (2014) 257-288 Online
    Padrões hießen die Säulen, die die portugiesischen Seefahrer an den erreichten Extrempunkten ihrer Expeditionen aufstellten. Den wahrscheinlich ersten padrão aus Marmor (Notiz auf der Karte von Canerio) errichtete Diogo Cão an der Mündung des Kongo-Flusses.

Die Küstenlinie Europas ist im Verhältnis zur Fläche des Kontinents deutlich länger als dies bei den anderen Kontinenten der Fall ist. Auch übersteigt die Anzahl der europäischen Kaps die aller anderen Kontinente. Die vielleicht umfangreichste Liste 10) mit 65 Einträgen (vorbehaltlich einer exakten Definition) umfasst:

  1. Kap Kanin, östlich am weißen Meere, da, wo dieses in das nördliche Eismeer übergeht.
  2. Kap Swiatot, westlich am weißen Meere.
  3. Nordkünn, nördlichste Spitze des europäischen Festlandes.
  4. Nordkap, Europas nördlichste Spitze, auf einer Insel liegend.
  5. Kap Lindes, oder Lindesnäs, Südspitze von Norwegen.
  6. Skagens Horn, nördlichste Spitze von Jütland.
  7. Arkona, die nördlichste Spitze der Insel Rügen.
  8. Nord Peerd, die östlichste Spitze der Insel Rügen.
  9. Die Spitze von Hela, auf der Nehrung, nördlich von Danzig.
  10. Der Brüster Ort, nördlichster Punkt an der Bernsteinküste, nordwestlich von Königsberg.
  11. Domesness, nördlichster Punkt an der Westseite des rigaischen Meerbusens.
  12. Vorgebirge Duncansby, nördlichste Spitze der Insel Großbritannien.
  13. Vorgebirge Kinnaird, nordöstlichste Spitze vom mittlern Skotland.
  14. Vorgebirge Flamboroug, an der Ostseite des mittlern Englands, nördlich von Hull.
  15. Nord Foreland, im Osten der Thamesmündung.
  16. Süd Foreland, südöstlichste Spitze von Großbritannien.
  17. Vorgebirge Lizard, südlichste Spitze von Großbritannien.
  18. Landsend, südwestlichste Spitze von Großbritannien.
  19. Vorgebirge Wrath, nordwestlichste Spitze der Insel Großbritannien.
  20. Spitze Malin, nördlichster Punkt der Insel Ireland.
  21. Vorgebirge Slyne, an der Westseite der Insel Ireland, westlichstes Vorgebirge Europas.
  22. Kap Clear, die Südspitze der Insel Ireland.
  23. Kap Gris Nez, südwestwärts von Calais, an der Straße von Dover.
  24. Kap de la Hague, in der Mitte des Kanals, nordwestlich von Cherbourg.
  25. Kap Ortegal, nordwestliche Spitze Spaniens.
  26. Vorgebirge Finisterre, westlichste Spitze Spaniens, südwestlich von Kap Ortegal.
  27. Kap de la Roca, westlichster Punkt Portugals und zugleich des europäischen Festlandes; im Westen von Lissabon.
  28. Vorgebirge de Sankt Vincente, südwestlichste Spitze Portugals.
  29. Kap de Sta. Maria, südlichste Spitze Portugals.
  30. Kap Tarifa, an der Straße von Gibaltar, südlichster Punkt Spaniens und Europas.
  31. Punta de Europa, südlichste Spitze der Halbinsel von Gibraltar.
  32. Kap de Gata, eine der südöstlichsten Spitzen Spaniens.
  33. Kap Palos, nordöstlich vom vorigen, östlich von Kartagena.
  34. Kap S. Martin, der Insel Jbiza gegenüber.
  35. Kap Creus, nordöstlichste Spitze Spaniens.
  36. Kap Mouret, südwestlich von Toulon.
  37. Kap Bianco, die nordwestlichste Spitze von Korsika.
  38. Kap Corso, die nordöstlichste Spitze von Korsika.
  39. Kap Teulada, die südwestlichste Spitze der Insel Sardinien.
  40. Kap Carbonara, die südöstlichste Spitze der Insel Sardinien.
  41. Kap Linaro, nordwestlich von Rom, bei Civita Vecchia.
  42. Kap Circello, fast in der Mitte zwischen Rom und Neapel.
  43. Punta della Campanella, südwärts von Neapel.
  44. Kap Pelors, an der Straße von Messina, die nordöstlichste Spitze der Insel Sizilien.
  45. Vorgebirge Gallo, nordwärts von Palermo, auf Sizilien.
  46. Kap Boeo (einst Lilibaeum), Westspitze der Insel Sizilien.
  47. Kap Passaro, südlichste Spitze Siziliens
  48. Kap dell' Armi und
  49. Kap Spartivento sind die südlichsten Vorgebirge Italias; jenes liegt an der Straße von Messina, dieses östlich davon.
  50. Kap Santa Maria di Leuca, die südöstlichste Spitze Italias.
  51. Kap d'Otranto, im südöstlichen Italia, bei der Stadt Otranto.
  52. Punja di Promontore, die südlichste Spitze der Halbinsel Istrien.
  53. Vorgebirge Linguetta, im West der Bai von Aulona.
  54. Vorgebirge Papas, einst Araxos, eine der nordwestlichsten Spizen von Morea, westlich von Patrai.
  55. Vorgebirge Klarenza, einst Chelonatas, auf dem westlichsten Vorsprunge von Morea.
  56. Vorgebirge Konello, einst Kyparision, südwestlich von Arkadia.
  57. Vorgebirge Gallo, einst Akritas, die westlichste von den drei Südspitzen Moreas.
  58. Vorgebirge Matapan, einst Tainarion, die mittlere von den drei Südspitzen Moreas.
  59. Vorgebirge St. Angelo, einst Malea, die östlichste von den drei Südspitzen Moreas.
  60. Vorgebirge Kolonna, einst Sunium, südöstlich von Athen.
  61. Vorgebirge Pailluri, auf der Westseite des Busens von Kafsandra, da wo dieser ins Meer übergeht.
  62. Vorgebirge Drepano, die Spitze zwischen dem Meerbusen von Kassandra und dem Meerbusen von Monte Santo.
  63. Vorgebirge Monte Santo, auf der Ostseite des gleichnamigen Meerbusens.
  64. Vorgebirge Emineh, am schwarzen Meere, südlich von Varna.
  65. Vorgebirge Merdwinoi, am schwarzen Meere, die Südspitze der Krimm.
1)
Ludwig Passarge
Aus Baltischen Landen: Studien und Bilder.
Glogau 1878 Online S. 156
2)
Gregory Istoma beschrieb 1496 Svjatoj Nos dem Sigismund von Herberstein, der dies in Notizen über Moskau 1556 zitierte. Svjatoj Nos ist wahrscheinlich identisch mit dem ab Mitte des 16. Jahrhunderts kartographisch erfasten Vegestav (Vegistafr, Kap Vegestad, Ægistafr), der Ostgrenze Norwegens zwischen Hålogaland und Bjarmeland. Es wurde in Ohthere's Bericht über die Halbinsel Kola auch Kap Tersky genannt < Terfinna Land, benannt nach den Ureinwohnern Ter Sámi (Ross, Alan S.C.
Terfinas, Beormas.
London: Viking Northern Research Society. 1981. Reprint 1940 S. 6–7, 25–28;
Ahola Joonas et al.
Fibula Fabula Fact the Viking Age in Finland.
Finnish Literature Society SKS 2014. S. 199)
3)
z.B. Geografía. Libros XV-XVII. Hg.: Estrabón 2016, Fußnote 531 mit Verweis auf den Barrington Atlas, Quellen: Poseidonstempel Diodor III, 42; Strabo XVI, 4,18, 776; Ptolemäus 6,7,8. 12
4)
z.B. 1 Kön 18,20-40 sowie im altägyptischen Reich im 3. Jahrtausend BC:
Paul-Marie de la Croix
Hauts lieux élianiques.
S. 17 in: Elie le Propète selon les Ecritures et les taraditiones chrétiennes. Bd. 2 Paris 1956;
Wolfgang Helck
Die Beziehungen Ägyptens zu Vorderasien im 3. und 2. Jahrtausend v.Chr.
2. verbesserte Auflage 1971.
Heiliges Kap s. S. 126, 129.
5)
Wilhelm Tomaschek
Zur historischen Topographie von Kleinasien im Mittelalter.
S. 45 in: Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Akademie der Wissenschaften, Band 124 Wien 1891
6)
Gerd Grasshoff, Renate Burri, Klaus Geus, et al.
Klaudios Ptolemaios. Handbuch der Geographie.
1. Teilband: Einleitung und Buch 1-4 & 2. Teilband: Buch 5-8 und Indices 2017. s. Register → Heiliges Kap
7)
Der kleine Pauly 2006
8)
Kap Mesrâta oder Râs Bou-Chaifa im Westen der Großen Syrte. Strabon 17,3,19; Plutarch Dion 25,8; Ptolemäus 4,3,13
9)
Quellen z.B. Brockhaus 1895 Bd. 15 S. 533
10)
nach Karl Friedrich Vollrath Hoffmann
Die Erde und ihre Bewohner: ein Hand- und Lesebuch für alle Stände.
1833 S. 201-203
wiki/kap.txt · Zuletzt geändert: 2024/07/25 08:17 von 52.230.152.39

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