Inhaltsverzeichnis

Reisegötter

Mit einem japanischen Gott

Da hockt der dicke Gott und grinst,
der schwere Bauch in düstern Falten ...
und über des Geschickes Walten
sitzt jener ruhig da und blinzt ...

O Wandrer, lüfte deinen Hut!
Denn dieser strebt zum Idealen.
Was weiß er von des Denkens Qualen?
Er existiert und damit gut!

Kurt Tucholsky [Pseud. Theobald Tiger]: 
Fromme Gesänge. 1919

siehe auch Liste der Reisegottheiten sowie Genius cucullatus, ein Schutzgeist.

Gefahren

Reisende setzen sich dem Unbekannten aus. Seine Übergänge beginnen mit dem Überschreiten der Schwelle, setzt sich fort beim Verlassen der Siedlung durch das Tor und durch den Zaun, der die Felder einhegt. Reisende folgen dem Pfad, einem Weg, einer Piste durch die Wildnis, insbesondere beim Durchschreiten von Gewässern oder Überschreiten von Pässen, dem Wetter ausgesetzt und den wilden Tieren. Das Unbekannte weckt Angst vor Gefahren und ein Bedürfnis nach Schutz und Orientierung. Bevor es Impfungen, Reiseführer und Ausrüsterläden gab, waren dafür Reisegötter zuständig. Reisegötter und Schutzgeister (später auch Christophorus) versehen daher ihre Aufgaben insbesondere an Kreuzungen, Pässen, Furten, Quellen, Oasen usw., oft erinnert ein Steinmann daran sie anzurufen, im tibetischen Himalaya sind es Gebetsfahnen, in Europa auch Feldkreuze oder das Dreikönigszeichen am Türrahmen.

Reisegötter

Reisegötter geben Sicherheit, denn …

Fähigkeiten Bedürfnis Attribut Text und Bildquellen
… sie kennen die Richtung und
den richtigen Weg
Orientierung Stein(zeichen)
… sie bringen Licht in die Dunkelheit Orientierung Mond, Fackel RDK Labor
… sie zähmen die Wildnis Stärke, Kraft Hund, Schlange Lurker 1983
… sie brechen leicht auf Mut, Zuversicht Stab, Hut
… sie sind schnell Ziel Schuhe, Flügel Engel

Die Attribute der Reisegötter sind von praktischen Erfordernissen des Reisens diktiert, denn »… Unternimmt in den Mythen eine Gottheit eine Reise, so zieht sie sich die Schuhe an - die »eiligen Winde« - und nimmt ihren Stab in die Hand« 1). Die Prioritäten der Ausrüstung und das Prinzip der Einfachheit bestimmen das Reisegepäck.

»Reisegötter« (engl. travel deities) sind Schutzgottheiten, die angerufen werden, wenn reisetypische Schwellen und Grenzen überschritten und sicherheitsstiftende Ordnung verlassen werden. Man kennt sie in den Altertumswissenschaften als Türgottheiten und als Wegegottheiten. Gemeinsam ist ihnen, dass sie an Übergängen wirken, dort, wo richtungsweisende Entscheidungen zu treffen sind. Aus dieser Sicht werden sie auch liminal deities genannt und psychologisch-anthropologisch interpretiert, weil die Übergänge nicht nur äußerlich sondern auch innerlich erfolgen.

Die wesentlichen Aufgaben zielen auf äußere Sicherheit und innere Zuversicht. Voraussetzung dafür sind Glauben und Vertrauen. Gegenstand der Aufgabe ist die Wegfindung vom Aufbruch zum Ziel im unbekannten Zwischenraum. Die Probleme des Reisenden liegen in dem Umständen dieses Weges, also in

Eine Schutzgottheit bietet Sicherheit auf der Grenze zum Unbekannten, zur Wildnis, zum Fremden, weil sie damit umzugehen weiß. Das setzt eine Vertrautheit zu diesen Bedrohungen voraus, also wird die Schutzgottheit Teil des Unbekannten, Wilden und Fremden. Das Verhältnis zur Schutzgottheit wird dadurch ambivalent, denn in ihrer Eigenschaft als Trickster kann man ihr nicht vertrauen. Ihr zu opfern gleicht einer Schutzgeldzahlung. In der Symbolik spiegelt sich das durch Doppelköpfigkeit (Janus) oder Mehrleibigkeit (Hekate Trivia).

Grenzgänger

Grenzgänger, die solche Übergänge selbstverständlich passieren oder sogar immer wieder suchen, gelten als faszinierend, jedoch suspekt, ihre Archetypen sind der Wilde Mann, der an das Animalische im Menschen erinnert und der Outlaw, der daran erinnert, dass der Einzelne nicht ohne Gemeinschaft bestehen kann.

Auch die Abenteurer der Moderne gehören dazu, Ritter ebenso wie Helden, aber auch Hexen, Schamanen, Eremiten, die Kundigen des Fahrenden Volkes und Reisende, die im Unterwegs-sein gefangen sind.

Nomadische Wurzeln

Das Bild des »guten Hirten« hat als Metapher bis heute überdauert: bärtig, groß und stark, voller Lebenskraft, gegen Mensch und Tier gerüstet schützt er seine Herde. Seine Attribute decken sich denen der Reisegötter und mit denen der Fürsten - weltlicher ebenso wie geistlicher. Es scheint, als bezögen diese Reisegötter ihre Kräfte aus der nomadischen Kultur von Abel im Gegensatz zum hausbauenden Schmied Kain:

Schutzgottheiten

Manche Schutzgottheiten haben christlich geformt bis heute überdauert, so etwa Christophorus als Schutzpatron der Reisenden. Ihm vergleichbar finden sich als Beschützer der Reisenden:

In Afrika

In Asien

In Europa

Das Profil der Schutzgottheiten

Diese Reisegötter zeichnen sich durch besondere Merkmale und Eigenschaften aus, sie sind:

Literatur

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1)
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The Near and Middle East. Der Nahe und Mittlere Osten …
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2)
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3)
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4)
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Herakles vom Berge Sanbulos
Ancient Society Vol. 26 (1995), pp. 241-271
insbes. Fußnote 57 und ab S. 263 ausführlich mit zahlreichen Quellenbelegen
Carsten Colpe
Götter und Mythen der kaukasischen und iranischen Völker
Wörterbuchs der Mythologie Band 4
Klett-Cotta, 1986, S. 140 Eintrag `Tir´; Dort auch der Hinweis auf zahlreiche Personennamen Tir-* sowie Ortsnamen: Tiraric bei Bagrevand, jetzt Kösa dagh; Tirakatar, s. H. Hübschmann
Die altarmenischen Ortsnamen
Mit Beiträgen zur historischen Topographie Armeniens und einer Karte
1904; Reprint 2019 de Gruyter
5)
indogermanisch ter-4, also `hinübergelangen, hindurchdringen; überqueren, überwinden, überholen, hinüberbringen, retten'
6)
Laurie L. Patton
Bringing the Gods to Mind
Mantra and Ritual in Early Indian Sacrifice

Berkeley University of California Press 2005
7)
Sukumari Bhattarcharji
The Indian Theogony
A comparative study of Indian mythology. From the Vedas to the Puranas
Delhi 1988, s. z.B. S. 187, Fussnote 1
8)
P.-L. van Berg
Hermes and Agni: a fire-god in Greece?
University of California Los Angeles; 189-204; 2001 ISBN: 0941694798
Zu Agni siehe: Ferdinand Justi
Ueber das eddische Lied von Fiölsvidr. Eine Vorlesung.
Orient und Occident insbesondere in ihren gegenseitigen Beziehungen: Forschungen und Mittheilungen (Dieterich), 2 (1864) 50.
Paul Wurm
Geschichte der indischen Religion: im Umriss dargestellt
VIII, 303 S. Basel 1874: Bahnmaier. insbes. S. 40−43
9)
Nan Ouyang
Localizing a Bodhisattva in Late Imperial China: Kṣitigarbha, Mt. Jiuhua, and Their Connections in Precious Scrolls
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10)
Heinz Bechert
Der Buddhismus I: Der indische Buddhismus und seine Verzweigungen
Kohlhammer Verlag 1999, Kap. 1.3 Kṣitigarbha [Jizō]
11)
Martin Kraatz
Jizō Bosatsu: Ein buddhistischer »Heiliger« in Japan
Photographien und Gegenstände. Begleitheft zur Ausstellung in der Universitätsbibliothek Marburg, 6. September - 23. Oktober 1994
Marburg: Religionskundliche Sammlung der Philipps-Universität Marburg 3
12)
Karl Florenz
Die historischen Quellen der Shintō-Religion
Aus dem Altjapanischen und Chinesischem übersetzt und erklärt.
1919, S. 139
13)
S. I. Johnston
Crossroads
Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 88 (1991) 217–224
Zur orientalischen Provenienz siehe: David R. West
The Goddess Hekate and Related Chthonian Daemons, with Antecedents in Semitic Demonology. Kevelaer 1995.
Johnston, S. I.
Hekate Soteira. A study of Hecate´s role in the chaldean oracles and related literature. Atlanta, Ga. 1990: Scholars Press
14)
von gr. hermios lophos, eirō, hermeneuō
15)
Ifigenija Radulović, Snežana Vukadinović, Aleksandra Smirnov Brkić
“ΟΥΔΕΝ ΠΡΟΣ ΤΗΝ ΚΛΟΠΗΝ” Hermes the Transformer
Agora. Estudos Clássicos em Debate 17 (2015) 45‐62, ISSN: 0874‐5498
16)
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Petasos
In: Der Neue Pauly (DNP). Enzyklopädie der Antike
Band 9, Metzler, Stuttgart 2000, ISBN 3-476-01479-7, Sp. 660
17)
A.L. Frothingham
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18)
Kahn, L.
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Athanassakis, A.
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20)
Aloys Ludwig Hirt
Götter und Heroen der Griechen und Römer
nach alten Denkmälern bildlich dargestellt auf XLVII Tafeln, nebst deren Erklärung.
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21)
Χρυσόῤῥαπις, der goldene Ruthenträger
22)
𐌕𐌖𐌓𐌌𐌑, aus indogermanischem ter-4 `hinübergelangen, hindurchdringen; überqueren, überwinden, überholen, hinüberbringen, retten´
A. L. Crawford
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23)
Masssimo Pallotino
Etruskologie: Geschichte und Kultur der Etrusker
Springer 1988
24)
Radke, Gerhard
Beobachtungen zur 'Religion' der Etrusker.
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25)
D. Emmanuel-Rebuffat
Herclé Agonistique En Étrurie
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Simona Rafanelli
La religione etrusca in età ellenistica
Rituale e iconografia fra tradizione e contaminazioni
In: Roma 2008 - International Congress of Classical Archaeology. Meetings between Cultures in the Ancient Mediterranean. In collaborazione con AIAC Associazione Internazionale di Archeologia Classica. Art, Italy: Cultures in Contact
Abb. 7 Jagdszene mit gegabeltem Stab\\, auf einem Scarabäus und hier mit Zacken und auf einem Bronzespiegel mit Dreizack, siehe Nancy Thomson de Grummond, Etruscan Myth, Sacred History, and Legend, Philadelphia: University of Pennsylvania Museum 2006, S. 125
26)
auch: Kelių/Keliu/Kelio dievas, Kelukis, Kellukis, Keliukis; zu lit. keliù `heben, emporheben, tragen, übers Wasser befördern´ aus ig. kel-1
27)
Walter C. Jaskiewicz
A Study in Lithuanian Mythology. Juan Łasicki's treatise on the Samogitian Gods
Diss., Studi baltici 9 (1952): 65–106; hier: S.77
28)
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in: J. Kroymann (Hg.): Eranion, Festschr. H. Hommel (1961) 93-104.
  • Beschützer des Handels an den Stellen der Begegnung
  • Boten der Götter mit dem Heroldsstab:
    • Cissonius, Merkur, Hermes, Thot;
  • Psychopompos, Seelengeleiter vom Diesseits ins Jenseits:
    • Hermes, Anubis, Christophorus
  • Helfer bei Übergängen:
    • einer der 14 Nothelfer: Christophorus
    • einer der 12 olympischen Götter: Hermes
    • einer der 12 Adityas, vedischen Schutzgottheiten: Pushan
    • einer der shintoistischen Dōsojin: Jizō
  • Sohn des Göttervaters:
    • Anubis: Sohn des Sonnengottes Re
    • Hermes: Sohn von Zeus und Maia
    • Hermodr: Odins Sohn ((Odins Speer hieß gungnir `Gehender´ und verwies damit auf die Reise ins Jenseits. Als großer Mann mit breitem Hut gab Odin dem König Eric einen Reyrsproti `Rohrstengel´, der sich beim Wurf über das feindliche Heer in einen Speer verwandelte.
30)
Joh. Cunradi Dieterici
Antiquitates Biblicæ, in quibus decreta, prophetiæ, sermones, consuetudines
Sumptibus Jacobi Godofredi Seyler, 1671, S. 513 f.
31)
Franz-Josef Mone
Geschichte des Heidenthums im nördlichen Europa
Leipzig 1822, II, 413. - Hier zit. nach
Hermann Müller
Das nordische Griechenthum und die urgeschichtliche Bedeutung des nordwestlichen Europas
Kirchheim, Schott und Thielmann, 1844, S. 364
32)
Siecke, Ernst
1846-1935
Pûshan: Studien zur Idee des Hirtengottes Im Anschluß an die Studien über 'Hermes Den Mondgott'; Pûshan Im Rig-Veda.
Mythologische Bibliothek Leipzig Hinrichs 1914
33)
Roscher, Wilhelm H. Pan als Allgott
Eine religionsgeschichtliche Untersuchung.
Mit 3 Textfiguren. Leipzig 1893: Engelmann. Sonderdruck aus: Festschrift für Joh. Overbeck Seite 56-72
34)
M. L. West, Morris West
Indo-European Poetry and Myth
OUP Oxford, 2007 ISBN 9780199280759
Kap. 7 Nymphs and Gnomes
35)
Mallory, J. P.; Adams, D. Q.
The Oxford Introduction to Proto-Indo-European and the Proto-Indo-European World
England: Oxford University Press 2006, S. 434. ISBN 978-0-19-929668-2